Henry Moore und die Künstler von heute
London (dpa) - Auf dem grünen Rasen im Skulpturenpark der Henry Moore-Stiftung tummeln sich Lämmer zwischen riesigen Plastiken.
Gegenwartskünstler wie Damien Hirst, Anish Kapoor und Thomas Schütte, die auf dem Areal ihre Werke denen von Moore gegenüberstellen, stören sich nicht an den grasenden Lämmern. „Sie haben keine Angst vor Kratzern an ihren Werken“, sagte Kuratorin Anita Feldmann. „Wir haben nachgefragt.“
Mit der Ausstellung „Body and Void: Echoes of Moore in Contemporary Art“ (Körper und Hohlraum: Echos von Moore in der Gegenwartskunst) will die Stiftung das künstlerische Vermächtnis des 1986 gestorbenen Bildhauers wachhalten. Insgesamt werden Werke von 18 zeitgenössischen Künstlern neben denen von Moore gezeigt. Die Ausstellung, teils im Freien und teils in einer zu Museumszwecken genutzten alten Scheune, ist bis zum 26. Oktober auf dem Anwesen Moores in Perry Green, in der Grafschaft Hertfordshire, nordöstlich von London zu sehen.
Nach Angaben von Stiftungsdirektor Richard Calvocoressi ist es das erste Mal, dass die Werke zeitgenössischer Künstler neben denen von Moore gezeigt werden. „Mehr als 25 Jahre nach Moores Tod können wir nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass sein Name auch den nachfolgenden Generationen geläufig bleibt“, sagte er. Der Besucher werde hoffentlich „neue Erkenntnisse“ über die heutige Relevanz von Moores Werk mitnehmen. „Der Dialog zwischen Moore und denen, die nach ihm kamen, war subtil“, sagte Calvocoressi. Die Werke der neuen Generation reflektierten eins deutlich: „Fakt ist, man kann Henry Moore nicht ignorieren, ob man ihn nun liebt oder hasst.“
Für Feldmann ist die Sache relativ einfach. „Moore ist überall“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Seine Erforschung und Nutzung von Material, Körper, Form und Natur stehe in direktem Zusammenhang mit den Werken von Antony Gormley, Thomas Schütte, Rachel Whiteread, Hirst und Kapoor. Der Brite Gormley schuf seine Plastiken mit seinem eigenen Körper, Kapoor demonstrierte mit seinen Edelstahlspiegeln Leere und Raum, in dem „man den Körper sehen kann“ und Hirst teilte seine in Formaldehyd eingelegten Tiere, um die Innereien zu offenbaren.
Wie Moore ging es ihnen darum, über die Erforschung von Körper und Raum das „Innere sichtbar“ zu machen. „Würden sie das alle tun, wenn Henry Moore nicht schon 60 Jahre zuvor so gearbeitet hätte?“, fragte Feldmann. Moore habe damit sämtliche Kritiker - von den Minimalisten bis zu den Konzeptkünstlern - überlebt.
Zum Beweis für Moores Einfluss auf die heutige Kunst sind in dem Park unter anderem zwei große Skulpturen von Thomas Schütte aufgestellt. Bei der Installation von „Bronzefrau Nr. 3“ und „Stahlfrau Nr. 1“ aus der Olbricht Collection in Essen legte der Künstler selbst mit Hand an. Es sei schwer, bei diesen Werken nicht an die liegenden Akte von Moore zu denken, sagte Feldmann. Allerdings trügen die Figuren des Deutschen eher „aufwühlende als harmonische“ Züge. Mit seinen Sockeln aus rostendem Stahl stelle Schütte zudem die „Dauerhaftigkeit“ der Kunst infrage.
Im Museum wird der Besucher mit einer großen Holz- und Stahlskulptur von Richard Deacon („Kiss and Tell“) konfrontiert, die an Moores ineinanderfließende Formen erinnern soll. Bei Hirst, so Feldman, springt Moores Lieblingsthema von Mutter und Kind ins Auge: In zwei großen Vitrinen schweben die in Formaldehyd eingelegten, aufgeschlitzten Körper von Kuh und Kalb - die Innereien sind zu sehen. Hirst nannte das Werk: „Mother and Child Divided“ (Mutter und Kind getrennt).
Mit Witz und Satire arbeitete Joseph Beuys: Seine „Plastik von Henry Moore von Beuys“ (1961) besteht aus einem zusammengeknoteten Gummiband in Form eines liegenden Körpers, in einem kleinen Pappkarton. Es setzt sich kritisch mit Moores „Erforschung und Streckung von Material und Raum“ auseinander, wie erläutert wird. „Beuys will damit den Modernismus lächerlich machen, aber sein lustiges Werk ist zugleich auch ein Kompliment an Moore“, sagte Feldmann.