Herr Seidel mag nicht mehr Frau Seidel sein
Eineinhalb Jahre lang hat Ex-Manager Christian Seidel die Geschlechterrollen getauscht. Mit Männern hat er seither Probleme.
München. Christian Seidel (54) hatte seine Rolle als Mann satt — und trug anderthalb Jahre lang Frauenkleider. Der frühere Medienmacher, der unter anderem die Moderatorin Arabella Kiesbauer managte, zog im Minirock und mit blonder Perücke durch seine Heimatstadt München. Als „Christiane“ sei er angebaggert, begrapscht, angegriffen, einmal sogar fast vergewaltigt worden, sagt er. Ein Gespräch über Männer, Frauen — und Menschen.
Herr Seidel, Sie schreiben, Ihre Rolle als Mann hätte Sie eingeschränkt. Wieso?
Christian Seidel: Weil man als Mann ganz enge Rituale lebt. Ich habe schon seit vielen Jahren einen großen Überdruss von diesem Rattenrennen, das sich Männer liefern. Sie müssen sich ständig vergleichen und profilieren — letztlich gegenüber Frauen.
Als Frau haben Sie viele schlechte Erfahrungen gemacht. Sie beschreiben, wie sie angespuckt, begrapscht, sogar fast vergewaltigt wurden. Hat Sie das verändert?
Seidel: Ich habe mittlerweile ein Problem damit, Männer zu mögen. Solche Übergriffe sind mir ununterbrochen passiert. Dass mir fremde Männer mit dem Finger in die Brüste stechen oder abfällig über mich reden zum Beispiel. Das hat mich zermürbt.
Sie schreiben, dass Sie Freunde verloren haben. Warum haben Sie weitergemacht?
Seidel: Umso mehr Gegenwind ich bekommen habe, desto mehr wollte ich weitermachen. Ich habe nicht eingesehen, dass so ein Widerstand kommt, nur weil ich etwas Weibliches mache.
Ihre Frau war nicht begeistert.
Seidel: Ja, sie hat gesagt, dass sie einen Mann geheiratet hat und keine Frau. Da war ich perplex. Ich hatte nicht erwartet, dass sie so scharf reagiert, nur weil ich andere Kleidung trage. Ich habe ja nicht meine Seele ausgetauscht. Ich habe geantwortet: Du hast einen Mann geheiratet, aber keinen Kleiderständer.
Ihre Frau hat das akzeptiert?
Seidel: Sie hat es eigentlich nie richtig akzeptiert. Aber wir haben viel miteinander gesprochen, uns auseinandergesetzt. Da hat sie verstanden, dass ich kein Transvestit oder Transsexueller geworden bin. Sondern dass ich immer noch der gleiche heterosexuelle Mann bin, der für sich eine Erfahrung macht.
Wie würden Sie sich denn bezeichnen?
Seidel: Das, was ich gemacht habe, passt in keine Schublade. Ich habe versucht, die Geschlechterrollen in meinem Leben abzustreifen.
Ein Arzt hat sie gewarnt, Sie könnten Ihre Identität verlieren. Hatten Sie keine Angst?
Seidel: Ich hatte furchtbare Angst und schwere Albträume. Das hat mir gezeigt, wie sehr ich mich als Mann an Geschlechteridentitäten geklammert habe. Dass ich mein Leben darin definiere, dass ich ein Mann bin und ein bestimmtes Bild verkörpere. Das Frau-Sein hat dieses Bild aufgelöst.