Hohe Radioaktivität im Pazifik vor AKW Fukushima
Tokio/Fukushima (dpa) - Die japanische Atomruine Fukushima verseucht zunehmend das Meer. Die radioaktive Belastung des Pazifiks an der Küste des beschädigten Kraftwerks erreichte am Samstag einen Höchstwert.
Der Gehalt des strahlenden Isotops Jod-131 im Meerwasser nahe der Anlage übertraf den zulässigen Grenzwert um das 1250-fache. Das teilte die japanische Reaktorsicherheitsbehörde NISA mit. Die Gefahr eines Super-GAUs, also einer Kernschmelze, war weiterhin nicht gebannt. In Deutschland demonstrierten mehr als 200 000 Menschen in mehreren Städten gegen Atomkraft.
Die Verseuchung im Pazifik kommt vermutlich daher, dass radioaktives Wasser aus dem Atomwrack ins Meer geflossen ist, wie der japanische AKW-Betreiber Tepco einräumte. Die stark belasteten Wasserproben wurden 330 Meter südlich des Kraftwerks entnommen, das vor mehr als zwei Wochen durch ein Erdbeben und einen Tsunami stark beschädigt worden war. Bisher war im Meerwasser eine 100-fach über dem Grenzwert liegende Strahlenbelastung gemessen worden. Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die Konzentration der radioaktiven Substanzen im Meer schnell verdünnt, so dass derzeit keine größere Gefahr für Mensch und Umwelt bestehe.
Die Lage in den Meilern der Anlage Fukushima Eins hat sich nach Aussagen eines Regierungssprechers derweil nicht weiter verschlechtert. Es sei aber nicht möglich, genau zu sagen, wann die Atomkrise vorbei sei, sagte Kabinettssekretär Yukio Edano. Am Samstag gab es wenigstens einen kleinen Fortschritt: Im Kontrollraum von Reaktor 2 brannte wieder Licht. Damit gibt es nun nur noch im Kontrollraum von Block 4 noch kein Licht.
Die Helfer am AKW arbeiten derzeit an zwei Fronten. Einerseits versuchen sie, das radioaktiv verseuchte Wasser aus den Reaktorgebäuden wegzuschaffen. In vier der sechs Blöcke war radioaktives Wasser mit extrem erhöhter Strahlung ausgetreten, das offenbar aus dem Reaktorkern oder aus dem Abklingbecken für die abgebrannten Brennelemente stammt. Es stand teils mehr als einen Meter hoch an den Gebäuden. Nach dem Abpumpen sollen die Arbeiten zur Verkabelung der Kühlsysteme fortsetzt werden. Vermutet wird, dass mindestens einer der Reaktormäntel beschädigt ist, was die Angst vor einer Kernschmelze weiter schürte.
Zweiter Schwerpunkt bleibt die Kühlung der Reaktorblöcke 1 bis 3 mit Wasser von außen. Dies soll die drohende Überhitzung stoppen. Wegen der hohen Strahlenbelastung geschah dies nach einem Bericht des Fernsehsenders NHK aus größerer Entfernung als bisher.
Zur Kühlung wird inzwischen vermehrt Süßwasser statt Salzwasser eingesetzt. Experten befürchten, dass verdampfendes Meerwasser Salzkrusten zurücklässt, die sich etwa zwischen den heißen Brennstäben festsetzen. Dies würde den Fluss des kühlenden Wassers behindern.
Das verstrahlte Wasser in Block 1 enthält große Mengen von Cäsium-137. Die Reaktorsicherheitsbehörde veröffentlichte am Samstag eine Analyse dieses Wassers. Insgesamt wurden acht radioaktive Substanzen festgestellt. Nach der Aufnahme in den Körper kann Cäsium-137 anstelle des chemisch ähnlichen Elements Kalzium in die Knochen eingebaut werden. Damit würde diese Strahlenquelle die Betroffenen über lange Zeit gefährden, denn erst nach etwa 30 Jahren ist die Hälfte der radioaktiven Atome zerfallen (Halbwertszeit). Jod-131 hat eine Halbwertszeit von nur acht Tagen.
Im Meer verdünnt sich die Konzentration radioaktiver Substanzen rasch. Daher droht trotz des hohen Strahlenwertes derzeit noch keine unmittelbare Gefahr für Pflanzen und Tiere vor der Küste.
Seit Beginn der Krise in dem Atomkraftwerk wurden 17 Arbeiter verstrahlt. Zwei kamen mit Verbrennungen ins Krankenhaus, weil sie in verseuchtem Wasser gestanden waren.
Angesichts des drohenden Super-GAUs in Japan forderten bei den bislang größten Massenprotesten gegen Atomkraft in Deutschland am Samstag über 200 000 Demonstranten den sofortigen Atomausstieg. Nach Angaben der Veranstalter nahmen in den vier größten Städten Berlin, Hamburg, München und Köln sogar 250 000 Menschen an den Kundgebungen teil - mehr, als sie erwartet hatten.
In Japan ist aber nicht nur die Lage an der Atomruine, sondern auch die Lage der direkten Erdbebenopfer immer noch dramatisch. Schneefall und Temperaturen um den Gefrierpunkt behinderten am Samstag die Aufräumarbeiten im Katastrophengebiet im Nordosten der Hauptinsel Honshu. „Es ist so kalt, dass wir nichts machen können“, sagte ein Überlebender dem Fernsehsender NHK. Er war mit seiner Frau in sein beschädigtes Haus zurückkehrt.
Langsam läuft aber die Bereitstellung von Behelfsunterkünften an. Das sind einfache Häuser aus Holz, die individuell genutzt werden können. Die stark verwüstete Stadt Rikuzentakata in der Provinz Iwate nahm am Samstag als erste Gemeinde Anträge für solche Häuser entgegen.
Besorgt äußerte sich die EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa. Die Menschen in der Katastrophenregion benötigten schnellere Informationen zur radioaktiven Verseuchung ihrer direkten Umgebung, sagte sie nach einem Besuch in der Region der Nachrichtenagentur dpa. Viele wüssten nicht, wie es in ihrer jeweiligen Gegend speziell aussehe.
Bei dem Erdbeben der Stärke 9,0 und dem dadurch ausgelösten Tsunami am 11. März kamen nach offiziellen Angaben mindestens 10 489 Menschen ums Leben. 16 621 galten immer noch als vermisst, wie es am Samtagabend um 21.00 Uhr Ortszeit hieß.
Der Tsunami hat eine Fläche von rund 470 Quadratkilometern entlang der Küste überflutet, wie die japanische Geodaten-Firma Pasco berichtete. Sie hatte entsprechende Satellitendaten ausgewertet.
Der Wind weht auch in den nächsten Tagen günstig für die Millionen-Metropole Tokio. Radioaktive Partikel aus den Unglücksreaktoren werden aufs Meer getragen, sagte der Deutsche Wetterdienst (DWD) am Samstag in Offenbach voraus. Nur der Küstenstreifen nördlich des Kraftwerks werde vermutlich am Dienstag geringe Mengen radioaktiven Materials abbekommen.