Hunderte demonstrieren gegen Abschiebungen nach Kabul

Eine Maschine nach Kabul sollte am Dienstagabend Düsseldorf verlassen. Mehrere Hundert Demonstranten protestierten in der Abflughalle dagegen.

Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Es ist ein denkwürdig schlechter Zeitpunkt für eine Sammelabschiebung nach Afghanistan. Der Terroranschlag der Taliban auf das Hotel Intercontinental in Kabul liegt gerade drei Tage zurück. Eine deutsche Entwicklungshelferin ist unter den Toten, mehr als 20 Menschen kamen insgesamt ums Leben.

Erst scheint es nur ein kleines Häuflein Demonstranten zu sein, das sich da am Abend in der Abflughalle des Düsseldorfer Flughafens einfindet, um gegen den nunmehr neunten Abschiebeflug seit Dezember 2016 zu demonstrieren. Doch dann stößt noch der Demonstrationszug vom Hauptbahnhof dazu und es mögen am Ende vielleicht 200 bis 300 Menschen sein, die sich im Kreis versammeln, Transparente hochhalten („Abschiebung abschaffen“) und später Blumen niederlegen für die bisher 155 Afghanen, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden.

Wie viele an diesem Abend dazukommen, darüber gehen die Angaben weit auseinander. Erst war von 80 die Rede, was gegen die monatliche Deckelung der Vereinbarung zwischen Deutschland und Afghanistan verstoßen würde. Dann kursiert die Zahl von zehn. Die meisten scheinen aus Bayern zu kommen. Dort geht der Flüchtlingsrat von mindestens 15 Afghanen aus, die zurück müssen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet von einem 21-Jährigen, der auch betroffen sei, obwohl weder Straftäter noch Gefährder. Ihm soll wegen einer außerehelichen Beziehung in der Heimat die Steinigung drohen, ein eigentlich auch dort illegales Urteil. Aus NRW ist laut dem hiesigen Flüchtlingsrat bisher nur eine Person bekannt.

Die Angaben werden meist aus den lokalen Flüchtlingsinitiativen gesammelt. Offizielle Aussagen gibt es nicht. Aus Berlin ist wie immer in Abschiebungsfällen nichts Konkretes zu erfahren. Eine Sprecherin des Bundesinnenminsteriums teilt auf Anfrage nur mit, „dass wir uns grundsätzlich nicht zu möglicherweise bevorstehenden Rückführungsmaßnahmen äußern, schon alleine um deren Erfolg nicht zu gefährden“. Auch leiste der Bund nur Unterstützung beim Vollzug. In der Sache seien die Länder selbst für die Abschiebungen und die Auswahl der Personen zuständig.

Protest kommt von vielen Seiten. Die Organisation „Pro Asyl“ kritisiert, mit dem Anschlag in Kabul sei die Vorstellung der deutschen Asylbehörden Lügen gestraft, es gebe sichere Gebiete im Lande. Aber das Auswärtige Amt lege seit Herbst 2016 keinen neuen Lagebericht zu Afghanistan mehr vor. „Es gibt keine sichere Region in Afghanistan, eine jede Abschiebung dorthin ist unverantwortlich“, sagt auch Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW.

Einer der Demonstranten in Düsseldorf ist Mahdi (27). Seit zwei Jahren und fünf Monaten hält sich der Afghane in Deutschland auf, gerade ist sein subsidiärer Schutz wieder für ein Jahr verlängert worden. In Wuppertal macht er derzeit sein Abitur. Aber seiner Schwester ist der Schutz nicht gewährt worden. Dreimal gab es einen negativen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Seither versteckt sie sich nach seiner Aussage immer, wenn wieder Gerüchte von bevorstehenden Abschiebungen die Runde machen, obwohl sie nach den derzeit gültigen Kriterien gar nicht betroffen sein dürfte.

„Es ist sehr unterschiedlich, was bei den Befragungen geglaubt wird und was nicht“, erklärt Oliver Ongaro von der Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative „Stay!“ die ungleiche Behandlung der beiden Geschwister. Für ihn ist die derzeitige Abschiebepraxis nur ein „Türöffner“. Einen realen Nutzen gebe es angesichts des Häufleins nicht. Dass die meisten Abgeschobenen aus Bayern stammen, aber kaum einer aus NRW, zeigt für ihn, dass es in erster Linie um politische Symbolhandlungen geht.

Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes wird vor Afghanistan-Reisen gewarnt. Die Sicherheitslage sei „in großen Teilen des Landes unübersichtlich und nicht vorhersehbar. Reisende können daher jederzeit und ohne selbst beteiligt zu sein in lebensbedrohende Situationen geraten. Außerdem kann es landesweit zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen.“