Island: Der Vulkan gibt keine Ruhe

Für den Flugverkehr ist der Eyjafjallajökull eine Bedrohung. Vor Ort bietet er ein spektakuläres Bild.

Reykjavik. Das in Reykjavik gestartete Flugzeug hat soeben die Wolkendecke durchstoßen. Blauer Himmel über strahlendem Weiß. Doch dahinter, vielleicht 100 Kilometer entfernt, ragt aus den Wolken ein düsterer Berg: die Aschewolke, die der unter dem Gletscher Eyjafjallajökull liegende Vulkan ausstößt.

Was aus dem Flugzeugfenster bedrohlich aussieht, ist von isländischem Boden aus betrachtet ein spektakuläres Schauspiel: Über dem 1670 Meter hohen Gletscher erhebt sich eine riesige Wolke, die gestern bereits wieder bis zu neun Kilometer Höhe erreichte. Fast so hoch wie auf dem Höhepunkt des Ausbruchs Mitte April. Ständig wird neue Asche von unten nachgepumpt. Selbst aus etwa zehn Kilometern Entfernung ist zu erkennen, wie größere Lavabrocken - von Vulkanologen "Bomben" genannt - ausgespuckt werden.

Seitlich am Gletscher hängt eine andere, schneeweiße Wolke: Wasserdampf. Die Lava frisst sich durch das Eis des Gletschers, der längst nicht mehr als solcher erkennbar ist, weil eine schwarze Ascheschicht auf ihm liegt. Während für den Rest der Welt die Aschewolke das Problem ist, ist es für die Isländer vor allem die Gefahr, die durch das schmelzende Eis droht: dass sich das Wasser in einer Flutwelle ins Tal ergießt.

Am Höhepunkt der Eruptionen im April wurde von einem Bautrupp die isländische Hauptverkehrsader auf 100 Metern Breite aufgerissen, um den Fluten einen Weg zu bahnen. Längst ist die Straße wieder befahrbar. Doch man ist vorbereitet, notfalls wieder die Häuser in der Nähe zu evakuieren. Wie schon einmal, als kurzfristig knapp 700 Menschen ihr Heim verlassen mussten. Die betroffenen Höfe können ihre Felder zurzeit nicht nutzen, Vieh darf wegen des in der Asche enthaltenen Fluorids nicht grasen. In einem 40 Kilometer vom Vulkan entfernten Ort forderten die Behörden gestern die Anwohner auf, wegen der niedergehenden Asche ihre Häuser nur mit Masken zu verlassen.

Des einen Leid, des anderen Freud: Für 100 Euro wird eine "Eruptions-Tour" angeboten. "Wir bringen Sie sechs Kilometer näher an den Vulkan als die Busse", wirbt "Volcano-Tours". Touristen üben sich im Artikulieren des Unaussprechlichen. Ein Brite scherzt: "Eyjafjallajökull - das klingt wie "I love my yoghurt" (Ich liebe meinen Joghurt). Andere sammeln etwas Asche vom Feld - als Souvenir. Längst wurde die Idee zum Geschäft. In Reykjavik kostet ein Glas Asche zehn Euro. Werbespruch: "So fühlt sich an, was weltweit den Flugverkehr lahmlegte."

Die Isländer selbst, die im Durchschnitt alle fünf Jahre einen Vulkanausbruch erleben, sehen die Sache gelassen. Dora Magnusdottir vom Tourismusbüro in Reykjavik sagt kopfschüttelnd: "In Europa meinen die Leute, wir könnten nicht mehr atmen. Dabei haben wir hier in der Stadt, 120 Kilometer Luftlinie vom Vulkan entfernt, gar nichts gespürt."

Rund um die Uhr registrieren die Experten vom "Isländischen Wetterdienst" und dem "Institut für Erdwissenschaften" das Geschehen. Mit Kameras, mit Satellitenüberwachung. Und sie messen mit ihren Seismografen die Erderschütterungen - wie ein Arzt das Herz abhört. Doch auch sie können nur reagieren, haben keinen Einfluss. Dass die Isländer den Vulkan erst wieder abstellen, wenn ihnen die Schulden erlassen werden, ist eben nur ein Scherz.

"Vulkane sind unberechenbare Biester", sagt Nina Petersen im Lagezentrum von Reykjavik auf die Frage, wie lange der Spuk noch dauern wird. Beim Ausbruch im Jahr 1612 gab der Eyjafjallajökull schon nach drei Tagen wieder Ruhe. Anfang der 1820er Jahre dauerte es 14 Monate.