Japan auf der Kippe - Notstrom für Reaktor steht
Tokio (dpa) - Der Kampf gegen den Super-GAU in Japan steht auf der Kippe: Zwar meldet der AKW-Betreiber Tepco kleine Erfolge, denn die havarierten Reaktoren 1 und 2 sollen ab Samstag wieder mit Strom versorgt werden, wie der Sender NHK berichtete.
Experten in aller Welt sehen aber schwarz. Zudem herrschen in den Notquartieren der Erdbebenopfer dramatische Zustände. Ministerpräsident Naoto Kan versuchte, seinen Landsleuten Mut zuzusprechen: „Japan als Land wird die Katastrophe überwinden und sich erholen“, sagte er. Die Lage in Fukushima erlaube zwar keinen Optimismus. Sie werde aber „in nicht weiter Ferne“ unter Kontrolle gebracht. Die Betreiberfirma Tepco erwägt, die Reaktoren unter Sand und Beton zu begraben. Derzeit sei dies aber noch keine realistische Option, sagte Tepco-Sprecher Hidehiko Nishiyama laut der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo.
Die Einsatzkräfte in Fukushima hoffen, an diesem Samstag die Kühlung des AKW-Wracks wieder in Betrieb nehmen zu können. Fast 140 Einsatzkräfte der Hauptstadt-Feuerwehr versuchten am Freitag mit 30 Spezialfahrzeugen, den besonders gefährlichen Reaktor 3 zu kühlen, der Plutonium enthält.
Die erneuten Kühlversuche seien erfolgreich gewesen, versicherte Regierungssprecher Yukio Edano. Der Fernsehsender zeigte auch einen Armeesprecher, der über Block 3 berichtete: „Wir haben das Ziel getroffen.“ Das Wasser soll eine Kernschmelze verhindern. Ein zusätzliches Krisen-Kommando aus Technikern, Soldaten und Feuerwehrleuten soll unter extremer Strahlenbelastung auch die anderen beschädigten Reaktoren abkühlen.
Gleichzeitig setzt der AKW-Betreiber Tepco 120 Atomarbeiter in der Anlage ein. Darunter seien auch erfahrene Spezialisten anderer Stromkonzerne, sagte Sprecher Naoki Sunoda der Nachrichtenagentur dpa. Was sich genau in der Atomruine abspielt, wird nicht bekanntgegeben. Gerüchte, Tepco setze auch ungelernte, billige Arbeitskräfte ein, weist die Firma vehement zurück. Das US-Militär bot Japan Unterstützung durch 450 Strahlenexperten an.
Der Wind am Unglücksreaktor soll zu Beginn kommender Woche in Richtung der Millionen-Metropole Tokio drehen. „Wie weit sich die Radioaktivität dann ausbreitet, kann man aber noch nicht sagen“, sagte Christina Speicher vom Deutschen Wetterdienst (DWD).
Japan stufte die Gefährlichkeit des Störfalls im Atomkraftwerk Fukushima Eins auf das INES-Level 5 hinauf. Damit liegt der Unfall zwei Stufen unter der Katastrophe von Tschernobyl.
Der Atomkraftexperte Michael Sailer ist trotz der massiven Anstrengungen der Japaner im Kampf gegen den drohenden Super-GAU höchst besorgt. „Man muss sich vergegenwärtigen, dass wir nicht über einen Reaktor reden, sondern über mindestens drei Reaktoren und vier Brennelemente-Becken, also sieben Anlagen, die dringend Kühlung brauchen“, sagte der Geschäftsführer des Öko-Instituts der dpa. „Sie müssen alle unter Kontrolle bekommen“, betonte Sailer. „Erst wenn alle sieben zur ausreichenden Kühlung kommen, funktioniert es. Mein Glaube daran ist nicht sehr hoch.“
Bei Erdbeben und Tsunami sind mehr Menschen ums Leben gekommen als beim Beben in der japanischen Hafenstadt Kobe im Jahr 1995. Nach neuesten Angaben stieg die Zahl der Toten auf 6539. Es wird allerdings befürchtet, dass noch weit mehr Menschen der Katastrophe zum Opfer fielen. Weiter werden mehr als 9000 Menschen vermisst.
Die Folgen von Erdbeben und Wasserwalze, die steigende Atom-Gefahr und Eiseskälte setzen nun auch den Überlebenden der Dreifach-Katastrophe immer heftiger zu. NHK zufolge sind mindestens 25 Flüchtlinge schon gestorben. Sie seien meist alt und total entkräftet gewesen - womöglich wären sie ohne den Kälteeinbruch noch am Leben.
In Deutschland wurden als Reaktion auf die Japan-Katastrophe weitere Altmeiler vorübergehend vom Netz genommen. Eine Ideensammlung aus dem Umweltministerium sieht zudem eine drastische Verschärfung der Sicherheitsnormen für die insgesamt 17 deutschen Atomkraftwerke vor. „Es ist noch nichts vereinbart, die Gespräche darüber, wie genau diese Sicherheitsüberprüfung aussehen soll, haben gerade erst begonnen“, sagte die Sprecherin von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) der Deutschen Presse-Agentur.
Der Höhenflug des japanischen Yen ist vorerst gestoppt. Die G7-Finanzminister und Notenbankpräsidenten hatten in der Nacht zum Freitag in einer Telefonkonferenz beschlossen, gemeinsam gegen den starken Anstieg vorzugehen. Es ist das erste Mal seit mehr als zehn Jahren, dass die führenden Wirtschaftsnationen gemeinsam am Devisenmarkt einschreiten.