Jugendämter: Ein Gefühl der Ohnmacht
Die Sozialarbeiter stehen unter einem enormen Druck.
Remscheid. Wenn Thomas Küchler an Tagen wie gestern die Zeitung aufschlägt, befällt ihn ein Gefühl der Ohnmacht. Der Leiter des Allgemeinen Sozialdienstes vom Jugendamt in Remscheid ist entsetzt über grausame Todesfälle von Kindern wie jetzt wieder in Sachsen und Schleswig-Holstein. "Daran kann man sich einfach nicht gewöhnen", sagt Küchler. "Da fragt man sich, wie so etwas passieren kann."
Dass die Jugendämter durch die Häufigkeit der Fälle immer mehr ins Fadenkreuz der Öffentlichkeit geraten, verursache bei der Arbeit der Sozialarbeiter zunehmenden Druck, so Küchler: "Man möchte nicht in der Haut der Kollegen stecken, die die Familie vielleicht sogar vorher schon betreut und nichts bemerkt haben." Dennoch könne er nachvollziehen, weshalb den Behörden viele Kinderschicksale verborgen bleiben: "Man kann den Leuten eben nur vor den Kopf gucken. Vielleicht glauben einige der Kollegen zu sehr an das Gute im Menschen."
Grundsätzlich gehe man aber jedem Hinweis von Nachbarn, Angehörigen oder der Polizei nach. "In der Bevölkerung herrscht eine große Sensibilität", so Küchler. "Und wir sehen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig nach dem Rechten."
Birgit Köppe-Gaisendrees, Psychotherapeutin bei der Ärztlichen Beratungsstelle Bergisch Land im Remscheider Sana-Klinikum, wird täglich mit Fällen brutaler Kindesmisshandlung konfrontiert: "Zehnmal pro Woche gibt es bei uns Neuzugänge." Vier Psychotherapeuten und drei Kinderärzte kümmern sich in der Beratungsstelle seit 18 Jahren um misshandelte Kinder. Dreimal ist in dieser Zeit ein Kind an den Folgen körperlicher Misshandlung gestorben.
Um künftig früh genug eingreifen zu können, entwickelt die Beratungsstelle zusammen mit dem Jugendamt und sieben anderen Kooperationspartnern derzeit ein Frühwarnsystem, um potenziell gefährdete Kinder schnell ausfindig machen zu können.
"Vor allem ist aber Zivilcourage gefragt", appelliert Birgit Köppe-Gaisendrees an die Bevölkerung. "Wenn man auf der Straße oder in der Nachbarschaft bemerkt, dass ein Kind in Not ist, muss man eingreifen."