Käßmann: Irgendwo neu anfangen
In einem Interview gewährt die Ex-Bischöfin Einblicke in ihre Gedanken. Vom alten Leben ist nicht viel geblieben. Trotzdem blickt sie ohne Angst nach vorn.
Düsseldorf. Vor knapp vier Monaten ist sie von ihren Ämtern als Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zurückgetreten - und trotzdem ist Margot Käßmann erstaunlich präsent. Beim Ökumenischen Kirchentag Mitte Mai hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt seit ihrer folgenreichen Alkoholfahrt.
Was ihr dort entgegenschlug, war beeindruckende Sympathie, Respekt, ja sogar Bewunderung für ihre Geradlinigkeit. Sie ist - ohne jedes Amt - die derzeit gefragteste Stimme zu Themen des Glaubens und der Sozialpolitik.
Dass sich Margot Käßmann noch immer jeder Debatte stellt, die ihr wichtig erscheint, dass sie nicht verstummt ist, wirkt mit Blick auf ihre persönliche Situation umso beeindruckender. In einem ausführlichen Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (Ausgabe von Montag) gewährt sie einen Einblick in ihr Innenleben. Es zeichnet das Bild einer Frau, die sich selbst am Nullpunkt angekommen sieht.
Vor drei Wochen, an ihrem 52. Geburtstag, habe sie gedacht, "das ist so ein bisschen wie Monopoly: Gehe zurück auf Los! Ich habe keinen Arbeitsplatz, ich habe keine Wohnung, jetzt ist auch meine jüngste Tochter ausgezogen. Ich werde ohne Familie irgendwo neu anfangen." Von ihrem Ehemann hatte sich Käßmann 2007 scheiden lassen.
Wie es weitergeht, weiß die Ex-Bischöfin nur für die Zeit von August bis Ende des Jahres. Dann ist sie als Gastdozentin an der Emory Universität von Atlanta (USA). "Mit dem Abstand hoffe ich dann, dass zum 1. Januar irgendeine Aufgabe da ist", sagt sie im Interview.
Käßmann sieht es durchaus als Privileg an, sich in Ruhe umschauen zu können, um zu entscheiden, wie es weitergeht. Dass ihr diese ungewisse Zukunft keine Angst macht, führt sie auf ihren Glauben zurück. Da fällt wieder dieser Satz, den sie auch vor Medien beim Rücktritt zitierte: "Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand."
Käßmann nutzt das Interview auch zur Kritik am Medienwirbel nach ihrer Alkoholfahrt. Sie wolle ihren "Riesenfehler" zwar nicht herunterspielen, aber die Berichterstattung sei "unverhältnismäßig" gewesen. Zu der Zeit habe es auch wichtigere Dinge gegeben. Die Frage, wer bei der Fahrt am 20. Februar neben ihr gesessen hat, beantwortet Käßmann dem "Spiegel" nicht.
Dass ihr der Zuspruch nach ihrem Rücktritt gut getan hat, macht Käßmann im Interview deutlich. Mehr als 2.600 Briefe und 12.000 E-Mails habe sie erhalten - in der großen Mehrheit positiv. Die Reaktionen hätten ihr auch gezeigt, dass es "ein großes Bedürfnis nach Seelsorge" gebe. "Ganz viele Menschen leben eben nicht auf der Erfolgsschiene oder haben alles glorreich im Griff."
Viele Gläubige, insbesondere in Hannover, haben ihre Rückkehr ins Bischofsamt gefordert. Aber Käßmann wäre nicht Käßmann, wenn sie einen Rücktritt vom Rücktritt in Erwägung zöge.