500 Jahre Luther Käßmann sieht Reformationsjubiläum als Mutmacher

Berlin (dpa) - Mit Tausenden von Gottesdiensten, Ausstellungen und ungewöhnlichen Projekten hat die evangelische Kirche im Jahr des 500. Reformationsjubiläums ein Millionenpublikum interessiert.

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Für die evangelische Theologin Margot Käßmann (59), die seit sechs Jahren für das Jubiläum wirbt, ist die große Resonanz ein Mutmacher. Die Kirche sollte Wege suchen, wie sie auch künftig die Menschen mit ihrer Sehnsucht nach Halt und Lebenssinn ansprechen kann, sagt die ehemalige EKD-Chefin und frühere hannoversche Landesbischöfin im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Tausende Gottesdienste, Konzerte, Lesungen und Ausstellungen quer durch Deutschland haben im zu Ende gehenden Jahr des Reformationsgedenkens ein Millionenpublikum angelockt. Über den Erfolg großer Zahlen hinaus: Worin liegt der Gewinn des Jubiläumsjahrs für die Kirche?

Antwort: Dieses Jubiläumsjahr hat in der Tat im ganzen Land Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich freue mich darüber, dass wir den historischen Anlass genutzt haben, um über unsere Tradition, aber auch die Herausforderungen der Gegenwart zu sprechen. Wir haben uns der Situation gestellt, dass wir in einer säkularer und multireligiöser werdenden Gesellschaft leben. Es war eine Ermutigung, diese Herausforderung offensiv anzunehmen, öffentlich über Glauben und Kirche zu sprechen, und sich nicht wegzudrücken oder in private Nischen abschieben zu lassen.

Frage: Kirche mal nicht in der Kirche: Statt Predigt und Liederbuch gab es ungewöhnliche Formate, die sich um Glauben und Spiritualität drehten. Ist dies ein Erfolgskonzept auch für die Zukunft, um die wachsende Zahl der Menschen zu erreichen, die mit der Kirche fremdeln?

Antwort: Wir haben das Jahr schlicht auch als Experimentierfeld genutzt. Dazu war es gut, die Feierlichkeiten hauptsächlich an die Ursprungsstätten der Reformation zu legen, wo Christen heute eine sehr kleine Minderheit sind. Und da zeigt sich in der Tat, dass kleine öffentliche Angebote von Spiritualität wie etwa die Abendandachten auf dem Wittenberger Marktplatz Menschen anziehen. Aber auch Gespräche über Gott und die Welt, zu denen beispielsweise auf dem Domplatz in Erfurt oder bei der öffentlichen Kaffeetafel in Leipzig eingeladen wurden, hatten großen Zuspruch. Das können wir nun auch an anderen Orten umsetzen.

Frage: Wenn sich all der Trubel um das Jubiläumsjahr gelegt hat und Alltagssorgen wie Mitgliederschwund und Bedeutungsverlust wieder in den Vordergrund rücken, auf welchen Kurs sollte sich die evangelische Kirche begeben?

Antwort: Zum einen brennt uns die Frage auf den Nägeln, wie wir den Glauben weitergeben an die jüngere Generation in einer Zeit, in der das im Elternhaus nicht mehr selbstverständlich ist. In Wittenberg haben wir ein globales Netzwerk evangelischer Schulen und Bildungseinrichtungen gegründet, weil wir darin Zukunftschancen sehen. Mich hat übrigens auch beeindruckt, wie die vielen jungen Leute, beispielsweise die 15 000 Konfirmandinnen und Konfirmanden, die den Sommer über in Wittenberg waren, manchmal eine bessere Sprache für den Glauben heute finden als Theologen, die darum ringen. Und der Gottesdienst, eben die Angebote der Spiritualität werden Thema sein müssen. Wie können Gottesdienste aussehen, die Menschen mit ihrer Sehnsucht nach Halt und Lebenssinn so ansprechen, dass sie nicht darauf verzichten möchten. Das kann aber nicht von oben verordnet, sondern muss von Gemeinden vor Ort mitentwickelt werden.

Frage: Dass es gelungen ist, die katholische Kirche so partnerschaftlich in das Jubiläum einzubeziehen, hätte vorab wohl kaum jemand erwartet. Macht dies Mut für die Ökumene?

Antwort: Auf jeden Fall. Kardinal Kaspar hat davon gesprochen, dass 2017 ein „Kairos“ (Red: das heißt unter anderem „günstiger Zeitpunkt“) der ökumenischen Bewegung sei. Daran können wir anknüpfen und ich hoffe, dass der nächste sichtbare Schritt eine gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft ist. Das Ziel der Ökumene wird dabei nicht eine Einheitskirche sein, die wäre genauso langweilig wie eine Einheitspartei. Es geht darum, dass trotz der Unterschiede, die ja auch interessant und kreativ sind, deutlich wird: Uns verbindet als Christen verschiedener Kirchen mehr als uns trennt.

Frage: Sechs Jahre lang waren Sie als Botschafterin der evangelischen Kirche für das Reformationsjubiläum in Deutschland und auch im Ausland unterwegs. Wie fällt ihr ganz persönliches Fazit aus?

Antwort: Ich freue mich, dass es gelungen ist, dieses Jahr 2017 ökumenisch und international weltoffen zu gestalten. Das war nicht von Anfang an klar und selbstverständlich, es gab viel Skepsis von römisch-katholischer, aber auch von reformierter Seite. Aber die katholische Kirche, auch die Reformierten, Baptisten, Mennoniten waren intensiv beteiligt, dahinter führt kein Weg zurück. Und wir haben nicht wie in früheren Jahrhunderten deutsch-nationalistisch gefeiert, sondern in Verbundenheit mit den Feiern in unseren Partnerkirchen in aller Welt und mit Besucherinnen und Besuchern aus Afrika, Asien, Latein- und Nordamerika. Das ist für mich ein besonderes Zeichen, denn die Kirchen zeigen damit in einer Zeit, in der Nationalismus aus der Mottenkiste der Geschichte geholt wird, ihr Bewusstsein dafür, dass Christinnen und Christen sich als Volk Gottes über nationale Grenzen hinweg verstehen.

ZUR PERSON: Seit 2011 wirbt die populäre evangelische Theologin und Buchautorin Margot Käßmann (59) in Deutschland und weltweit für das Lutherjahr 2017. Zuvor war sie elf Jahre Bischöfin von Hannover und von 2009 bis 2010 Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Mehrfach fiel Käßmanns Name bei der Kandidatensuche für die Bundespräsidentenwahl - sie lehnte ab.