Am frühen Morgen hat Achim Post Zeit für eine Schalte. Vor den heute startenden Koalitionsverhandlungen sind noch viele Steine aus dem weg zu räumen. Auch für den NRW SPD-Chef.
Herr Post, geht es Ihnen gut, oder haben die Sondierungen Spuren hinterlassen?
Achim Post: Mir geht‘s immer gut. Westfälisches Kaltblut.
Wie viel westfälisches Kaltblut brauchte es denn in diesen Verhandlungen?
Post: Es hilft, da es mal schneller und mal langsamer vorwärts geht. Dann ist es immer gut, wenn man kühlen Kopf bewahrt und zielorientiert auf das Wesentliche hinarbeitet.
Nach Jahren der Streitampel: Wird das jetzt mit selbst verschafftem Geldregen zwischen Union und SPD ein Festival der guten Laune?
Post: Das ist nicht die richtige Kategorie. Und das war es natürlich auch nicht. Das war bislang eine sehr ernsthafte, inhaltlich kontroverse, aber zielgerichtete Sondierungsrunde. Vom ersten bis zum letzten Tag.
In der SPD soll über die menschlichen Qualitäten von CDU-Verhandlern geschimpft worden sein.
Post: Glauben Sie mir, ich war die ganze Zeit dabei. Und vorgeschaltet war auch noch die Haushälter-Runde, die auf SPD-Seite von mir geleitet wurde. Da haben wir sehr sachlich über die Zahlen geredet. Dass es natürlich Differenzen zwischen Union und SPD gibt, liegt in der Natur der Sache. Wenn es aber so weitergeht wie in der Sondierung, dann bin ich zuversichtlich für die Koalitionsverhandlungen.
Der Druck ist groß, dass Sie etwas zustande bringen, was größeren Prüfungen standhält.
Post: Das wissen wir. China macht eine aggressive Wirtschaftspolitik, das spüren wir gerade beim Stahl auch in Nordrhein-Westfalen. Russland führt einen imperialistischen Angriffskrieg. Und Trumps Politik ist zu allererst an den Großmächten orientiert. Wer jetzt nicht erkennt, dass es für Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa um richtig was geht, der hat den Schuss nicht gehört.
Halten Sie das Sondierungspapier für in erster Linie einen sozialdemokratischen Erfolg?
Post: Das ist ein gemeinsames Papier. Aber dass wir bei den Sondierungen auf das Sondervermögen Infrastruktur für Bund, Länder und Kommunen gedrängt haben, liegt ja auf der Hand. Wir brauchen auf allen staatlichen Ebenen mehr Investitionen. Bei diesem Thema ist die nordrhein-westfälische SPD schon lange die treibende Kraft. Die Devise war: Wir wollen nicht mehr einfach nur Löcher stopfen, sondern die grundlegenden Finanzierungsaufgaben angehen.
Für die Grundgesetzänderungen stehen die Grünen bislang nicht zur Verfügung. Ernsthafte Gefahr für das ganze Projekt?
Post: Uns war allen klar, dass wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat brauchen. Wir lockern die starre Schuldenregel der Länder, indem sie in Zukunft wie der Bund Schulden bis zu einer Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes machen können. Zudem erhalten sie für sich und die Kommunen aus dem Infrastruktur-Sondervermögen allein 100 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren. Und es war auch immer klar, dass wir nur gemeinsam mit den Grünen diese Mehrheiten erreichen können.
Hätte das nicht früher geschehen müssen?
Post: Ja, man hätte vielleicht früher mit den Grünen reden müssen.
Aufgabe der CDU oder auch der SPD?
Post: Am Schluss betrifft es uns alle. Schließlich haben wir ja auch alle ein ureigenes Interesse daran, dass es mit den Grünen klappt.
Was wird notwendig sein, die Grünen zu überzeugen?
Post: Die Gespräche sind vertraulich und klar ist: die Zeit drängt. Die zweite und dritte Lesung der Gesetzesänderung sind am kommenden Dienstag.
Ist das über den alten Bundestag zu lösen?
Post: Am Schluss wird es auch den Grünen um die Sache gehen. Wir haben jetzt die Chance, eine strukturelle Lösung für die Finanzierung unserer äußeren Sicherheit zu finden und gleichzeitig den massiven Investitionsstau in diesem Land abzubauen.
Jetzt gibt es ja bei diesem gewaltigen Infrastrukturpaket die Sorge, dass Posten nur verschoben werden: Viele investive Aufgaben müssen im normalen Haushalt nicht mehr stattfinden, dort bleibt dann mehr Raum für konsumtive Ausgaben und Wahlgeschenke.
Post: Wir haben uns ja tatsächlich sehr bewusst ganz am Anfang und vor den Sachfragen auf dieses Finanzpaket geeinigt, weil wir es besser machen wollten als die Ampel, in der Finanzierungsfragen zu lange offen geblieben sind. Das Ganze heißt jetzt sehr bewusst: „Sondervermögen Infrastruktur Bund/Länder/ Kommunen“. Wir wollen etwas schaffen, womit Investitionen ermöglicht werden. In welche Projekte die Mittel dann genau fließen, werden die nächsten Jahre zeigen. Damit das zielgerichtet geschieht, haben wir uns zunächst insbesondere auf die größten Bereiche wie Verkehr, Energie, Bildung und Gesundheit verständigt.
Ein Infrastruktur-Investitionstopf ist doch aber nur sinnvoll, wenn darin wirklich neue notwendige Investitionen neue Werte schaffen. Ist das denn abgesichert?
Post: Das ist in der Tat das Schwierige. Jeder weiß doch, dass wir in unserem Land deutlich mehr Investitionen brauchen. Aber wir sollten deshalb nicht all die guten Projekte automatisch rausfallen lassen, die zwar bisher von den Ländern und Kommunen geplant sind, für die bisher aber das Geld in der Umsetzung fehlt. Die Devise muss sein: Man muss die Zielrichtung verbinden mit Praktikabilität. Da gibt es eigentlich auch keinen Dissens bei Union und SPD. Und meines Wissens auch nicht mit den Grünen.
Was kann das alles für NRW bedeuten, was für so viele darbenden Kommunen hier?
Post: Wir sind mit einem Sondervermögen eben auch für Länder und Kommunen bei der Union auf offene Ohren gestoßen, darüber sind wir froh. Die Union hat ja auch Ministerpräsidenten und Oberbürgermeister, für die das wichtig ist. Es wird darüber hinaus einen Pakt „Bund-Länder-Kommunen“ geben, so ist es vereinbart. Für einen Altschuldenfonds gibt es allerdings noch keine Einigung. Der ist für NRW aber besonders wichtig. Auf Unionsseite vernehme ich vor allem aus Bayern und Baden-Württemberg Ablehnung. Ich hoffe, dass da in den Koalitionsgesprächen noch Bewegung reinkommen wird. Da erwarte ich auch die Unterstützung der nordrhein-westfälischen CDU und von Hendrik Wüst. Denn die Altschuldenlösung muss jetzt endlich her. Zudem: NRW braucht eine aktive Wirtschafts- und Industriepolitik, das schaffen wir mit wettbewerbsfähigen Energiepreisen, auch mit einem Industriestrompreis, der lange umstritten war. Das muss man jetzt ausdefinieren. Dazu fördern wir Betriebe und Beschäftigte in der Automobilbranche. Auch bei Innovation und Forschung wollen wir mehr tun. Das alles hilft NRW. Und: Rentenniveau garantieren, Tariftreuegesetz, 15 Euro-Mindestlohn, das sind alles Punkte, die für den Zusammenhalt in NRW sehr wichtig sein werden. Das ist also ein Dreiklang: Stärkung von Kommunen, Wirtschafts- und Industriepolitik und sozialer Zusammenhalt.
Kritiker sagen, das ist eine Aneinanderreihung von Wahlgeschenken.
Post: Kritik nehme ich immer ernst. Aber man muss da schon unterscheiden: Der Dreiklang, von dem ich gerade sprach, der ist notwendig. Das sind keine Wahlgeschenke. Doch natürlich haben wir auch Herzensprojekte, deren Umsetzung sich viele Bürgerinnen und Bürger wünschen. Aber wir handeln verantwortungsvoll und werden bei den Koalitionsverhandlungen genau auf die Finanzierung achten.
Sie haben ja im normalen Haushalt reichlich Platz geschaffen.
Post: Wenn man nüchtern und ohne Parteibrille auf die Haushaltslage blickt, dann stellt man fest: Diese ist und bleibt wirklich herausfordernd. Wir starten mit einem erheblichen Minus für die nächsten Jahre. Deshalb müssen wir meiner Meinung nach auch über die Einnahmeseite reden: Warum sollen nicht diejenigen, die über sehr, sehr hohe Einkommen und Vermögen verfügen, einen größeren Anteil bezahlen? Darüber wird zu sprechen sein. Und natürlich gibt es auch Punkte im Haushalt, die auf ihre Zielgenauigkeit hin überprüft werden müssen. Klar ist: Wir müssen die schwierige finanzielle Lage meistern. Das wird also alles in allem weiter eine harte Nuss in den Koalitionsverhandlungen.
Der Druck der Öffentlichkeit ist groß, ein Infrastrukturtopf gilt vielen als zu übermäßig. Wird er am Ende kleiner?
Post: Der Investitionsbedarf in Deutschland ist riesig. Das spüren doch die Menschen in den Städten und Gemeinden tagtäglich. Doch mit dieser Vereinbarung auf zehn Jahre lässt sich arbeiten. Da fließt ja nicht Milch und Honig. Wichtig ist, dass das Geld gut angelegt ist.
In Sachen irregulärer Migration sind Sie weiter auseinander.
Post: Für mich ist klar, dass wir Humanität und Ordnung nicht alleine durchsetzen können. Wir alle wissen, dass die Antwort Europa sein muss. Wir müssen da vieles besser koordinieren. Da können wir bei Asyl und Migration nicht gleichzeitig unseren eigenen Weg gehen – gerade als Land mitten in Europa.
Unter dem Kanzler Scholz ist Deutschland in dieser Beziehung zuletzt nicht vorangegangen.
Post: Olaf Scholz hat das vielleicht nicht immer an die große Glocke gehängt. Ich war aber mal Generalsekretär der europäischen Sozialdemokratie und kann daher auch von innen betrachtet sagen, dass er in und für Europa eine starke, proeuropäische und konstruktive Rolle gespielt hat. Zugleich ist für mich klar: Gerade in diesen wirklich schwierigen Zeiten wird Deutschland auch in den nächsten Jahren als treibende Kraft in Europa gefordert sein.