Meinung 500 Jahre Reformation — das ist kein Tag zum Feiern
Für Katholiken ist die Spaltung der Kirche kein Grund zum Feiern, für Juden ist der Antisemit Luther untragbar. Und für Jugendliche ist am 31. Oktober bloß Halloween.
Bei einem der zahlreichen versöhnlichen Reformations-Gottesdienste dieses Jahres mit Gästelisten, die an der Trennung von Kirche und Staat zweifeln lassen, erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, im März: „In der Vergangenheit haben die Jahrhundertfeiern der Reformation die Gräben zwischen den Konfessionen vertieft. Im Jubiläumsjahr 2017 soll das anders sein.“
Ein frommer Wunsch. Als der nordrhein-westfälische Landtag im Juni 2015 beschloss, den 500. Jahrestag der Reformation am 31. Oktober 2017 einmalig zum Feiertag zu machen, hieß es in der Begründung des Gesetzes: „Die Reformation beschreibt eine historische Epoche, deren vielfältige Wirkungen bis heute zu spüren sind. Aus dieser Epoche sind Grundwerte wie die Freiheit des Gewissens und der Religion oder der Anspruch einer aktiven Weltverantwortung hervorgegangen.“
Zur diesjährigen Herbstversammlung der deutschen katholischen Bischöfe in Fulda sickerte (kaum zufällig) ein Papier des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki durch, in dem der Erzbischof von Köln seinem Ärger über die ständige protestantische Anmaßung und ökumenische Verkleisterung handfester Widersprüche deutlich Luft machte: Die evangelische Kirche stelle sich als „Konfession der Freiheit“ dar, der die unfreien und rückständigen Katholiken entgegenzukommen hätten, während Luther in Wahrheit absoluten Gottesgehorsam gepredigt habe, aber keineswegs die „Freiheit autonomer Selbstbestimmung“.
Im Übrigen gebe es einen „zunehmenden Dissens in moral- und sozialethischen Fragen“ zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Der Kardinal besteht zudem auf der in der Verfassung verbrieften Freiheit, Kindern katholischen statt irgendeinen Religionsunterricht zu erteilen. Der Begriff der „Freiheit“, auf den die NRW-Gesetzesbegründung abhebt und von dem Martin Luther 1520 in der „Freyheyt eyniß Christen menschen“ schrieb, war ein ganz und gar theologisch gemeinter und ist völlig ungeeignet, zum Ursprung der Idee der Gewissens- und Religionsfreiheit umgedeutet zu werden.
Zu den „12 Artikeln“, die die oberschwäbischen Bauern 1525 aus Luthers Freiheit eines Christenmenschen ableiteten, fiel Luther lediglich die Aufforderung an die Fürsten an, die Aufständischen niederzumetzeln: „Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“, heißt es in Luthers Hetzschrift „Wider die mörderischen Rotten der Bauern“.
Das durch und durch gewalttätige, vulgäre und vor allem völlig maßlose Wüten, das aus Luthers Schriften gegen alle spricht, die ihm nicht passten oder seiner Karriere im Weg standen, fand seinen widerwärtigen Höhepunkt in der Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ 1543. Luther sprach darin von den Juden als „dieser trübe Bodensatz, dieser stinkende Abschaum, dieser eingetrocknete Bodensatz, dieser verschimmelte Sauerteig und sumpfige Morast von Judentum“ und legte einen 7-Punkte-Plan zu ihrer Vernichtung vor, damit beginnend, „dass man ihre Synagogen oder Schulen anzünde“.
2016 hat die protestantische Kirche der Niederlande sich von den antisemitischen Schriften Martin Luthers distanziert und erklärt, diese hätten zu einem Klima beigetragen, das später den Holocaust ermöglicht habe. Eine ausfluchtlose Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland steht aus. Der Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, Hartmut Lehmann, wies schon vor Jahren darauf hin, „dass es die von den etablierten Kirchen verfolgten Täufer waren, die zuerst das Grundrecht auf Religions- und Gewissensfreiheit reklamierten“.
Die Kirche, die Luther gründete, war eine Untertanen-Kirche, in der die Fürsten die Religion ihres Volkes bestimmten und der Kirche vorstanden. Mit dem westfälischen Frieden 1648 folgte eine Entwicklung, die religiöse Streitigkeiten eine Zeitlang aus der Politik verbannte, bis der preußische Staatsprotestantismus des 19. Jahrhunderts in seiner propagierten „Einheit von Thron und Altar“ zur Katholiken-Verfolgung ansetzte.
Der Münsteraner Historiker Matthias Pohlig vertritt in einer aktuellen Studie die Auffassung, direkte Wirkungen der Reformation auf die moderne Welt seien kaum zu belegen. Errungenschaften wie der moderne Staat, Religionsfreiheit, Kapitalismus oder Säkularisierung ließen sich nicht als direkte Folgen der Reformation nachweisen.
Heinz Schlaffner, Literaturwissenschaftler, über die Auswirkungen der Reformation auf die Literatur
Die NRW-Gesetzesbegründung des heutigen Feiertags kommt natürlich nicht ohne den Hinweis auf die Bibel-Übersetzung Luthers aus, prägend für Kultur und Politik in Deutschland und Europa. Der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Heinz Schlaffer traute sich 2002, die aus der Reformation resultierende Geschichte der deutschen Literatur einmal so kurz aufzuschreiben, wie sie in Wahrheit ist: auf 157 Seiten. Denn sie ist in ihren Kernjahren eine Geschichte schreibender Pfarrerssöhne des 18. Jahrhunderts, und der zentrale Befund lautet: „Abweichung im Stillen und Anpassung an die äußeren Verhältnisse, als wären es bloß äußerliche — dieses pietistische Verhalten gegenüber dem Landesherren und der landesherrlichen Kirche haben die deutschen Schriftsteller übernommen.“
72 Prozent der Deutschen hätten laut einer YouGov-Umfrage gern, dass der Reformationstag jedes Jahr ein freier Tag wäre. Der evangelische Theologe Julian Sengelmann sagte kürzlich dem Deutschlandfunk: „Halloween hat den Reformationstag bei den jungen Leuten, auch bei den Konfirmanden, abgelöst. Immerhin werden Luther-Bonbons verteilt.“ Sie seien ihnen gegönnt.
Chefredakteur Ulli Tückmantel ist katholisch.