Kampf gegen Super-GAU bleibt dramatisch
Tokio (dpa) - Der Kampf gegen den Super-GAU in der Atomruine von Fukushima bleibt dramatisch. Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Entwicklung am Dienstag als „unvorhersehbar“.
Die Einsatzkräfte versuchen unter kaum erträglichen Bedingungen, das Atomkraftwerk zu kühlen. Nach Experten-Einschätzung kann es Monate dauern, bis eine Kernschmelze endgültig abgewendet ist.
„Ich kann noch nicht abschätzen, wie lange diese Situation dauern wird, aber zuerst müssen wir sicherstellen, dass wir das Kraftwerk unter Kontrolle bekommen“, sagte ein Sprecher des AKW-Betreibers Tepco. Die Regierung in Tokio erhöhte abermals den Druck auf den Energiekonzern, der immer stärker in die Kritik gerät.
Denn die Techniker, Soldaten und Feuerwehrmänner in Fukushima arbeiten bereits an der Grenze ihrer Kräfte. Sie bekommen nicht genug zu essen und müssen auf dem womöglich verstrahlten Betonboden schlafen. Industrieminister Banri Kaieda forderte von Tepco, die Situation der Einsatzkräfte schnell zu verbessern, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. So soll es auch nicht genügend Bleidecken geben, mit denen sich Arbeiter vor Strahlung schützen können.
Sorgen bereitet derzeit auch das Wetter. Am Mittwoch werde der aufs Meer wehende Wind seine Richtung ändern. Dann tragen Böen die radioaktive Partikel aus Fukushima in Richtung der Millionen-Metropole Tokio. „Dort steigt die Konzentration folglich an, allerdings deutlich verdünnt gegenüber der Ausgangsregion“, sagte der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach vorher. Am Donnerstag werde der Wind seine Richtung aber wieder Richtung Meer ändern.
Mittlerweile wurden auch westlich und südwestlich von Japan - also entgegen der vorherrschenden Windrichtung - in Südkorea, Hongkong und China geringe Mengen von radioaktivem Jod-131 in der Luft gemessen. In Europa rüsten sich einem Bericht der „Financial Times Deutschland“ (Mittwoch) zufolge Reeder und Häfen gegen die Strahlengefahr auf Schiffen aus Japan. So erstelle die Hamburger Hafenbehörde derzeit mit dem Zoll einen Notfallplan, wie mit verseuchten Frachtern umzugehen sei, berichtet das Blatt. Die Schiffsprüfungsgesellschaft Germanischer Lloyd sieht Probleme, da unklar sei, wie man mit belasteten Schiffen umgehen soll.
Der Regierung in Tokio bereitet nach wie vor das in der Erde rund um das havarierte Kraftwerk gefundene Plutonium Kopfzerbrechen. Die gemessene Menge sei gering und für Menschen nicht gefährlich, versicherte Tepco zwar erneut. Regierungssprecher Yukio Edano sagte allerdings, die Lage sei „sehr ernst“, das Plutonium sei ein Hinweis auf „einen gewissen Anteil schmelzender Brennstäbe“. Woher das Plutonium stammt, ist bisher nicht geklärt.
Der deutsche Atomexperte Michael Sailer warnte im Deutschlandfunk, der Fund von Plutonium bedeute, dass die Brennstäbe „entweder knapp unter der Kernschmelze oder in der Kernschmelze“ seien. Der Chemiker ist Mitglied der Reaktorsicherheitskommission des Bundes und Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts. Zum aktuellen Kampf gegen eine Kernschmelze sagte er, das werde „viele Wochen, viele Monate dauern“.
Ein weiteres ungelöstes Problem ist das strahlende Wasser in der Atom-Ruine. Es stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Kellern der Turbinenhäuser von vier der sechs Reaktorblöcke in Fukushima Eins. Eine Hauptaufgabe der Einsatzkräfte war am Dienstag das Abpumpen des verseuchten Wassers aus dem Keller des Turbinengebäudes von Block 1.
Doch die Arbeiter wissen derzeit nicht, wohin mit der hochgiftigen Flüssigkeit aus Block 2 und 3, wie Kyodo meldete. Es fehlte an Tanks. Am gefährlichsten ist das verstrahlte Wasser in einem Graben von Block 2.
Die japanischen Behörden gehen mittlerweile davon aus, dass das hoch verstrahlte Wasser in diesem Graben in „direktem Kontakt“ mit Brennstäben im Reaktorkern war, wie die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) meldete. Der Hintergrund: Fachleute fragen sich seit längerem, ob der Reaktordruckbehälter dort noch dicht ist.
Die Japaner wollen jetzt verstärkt ausländische Fachleute heranziehen, um die havarierten Reaktoren unter Kontrolle zu bringen. Außenminister Takeaki Matsumoto erklärte nach einem Kyodo-Bericht, Tokio sei „sehr bereitwillig“, Technologie und Wissen anderer Nationen bei der Lösung der Krise zu nutzen. Zudem erwägt die japanische Regierung womöglich eine Verstaatlichung von Tepco. So jedenfalls wurde der Minister für die nationale Politik, Koichiro Gemba, von Kyodo zitiert. Regierungssprecher Edano aber dementierte.
Unklar ist weiter, wie hoch die Kosten für die Katastrophe sein werden. Ministerpräsident Kan will neben dem eigentlichen Staatshaushalt einen Sonderetat von umgerechnet etwa 17 bis 26 Milliarden Euro aufstellen, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete. Japan ist schon jetzt hoch verschuldet. Mit dem neuen Geld sollen die Kosten für die Folgen nach Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe bezahlt werden. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will Japan am Donnerstag einen Solidaritätsbesuch abstatten.
Die Zahl der nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März offiziell für tot erklärten Opfer stieg am Dienstag auf 11 168. Weitere 16 407 Menschen werden nach wie vor vermisst. Bei etwa 4000 Leichen, die in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima gefunden wurden, ist noch unklar, um wen es sich handelt.