Kino: Tim Roth - Der stille Star aus Reihe zwei
Mit seiner Gabe, selbst mit kleinen Rollen denkwürdige Auftritte zu liefern, mauserte sich der britische Mime Tim Roth zu einem der meistbeschäftigten Filmschauspieler weltweit.
Düsseldorf. Zwischen zwei Filmen gehe es ihm immer besonders schlecht, bekannte Tim Roth einmal. Wenn er nicht vor der Kamera stehe, habe er stets Angst davor, nie wieder Arbeit zu bekommen.
Ob es sich dabei um einen ganz persönlichen Alptraum oder - wie Roth selbst glaubt - um eine "typisch englische Angewohnheit" handelt, kann in seinem Fall dahingestellt bleiben. Denn die Furcht vor plötzlicher Arbeitslosigkeit ist bei einem der charismatischsten und meistbeschäftigten Schauspieler der Gegenwart unbegründet.
Davon abgesehen bleibt zwischen seinen neuesten Filmen kaum genug Zeit, um entsprechende Phobien auszubilden. Der packende Auftritt in "Funny Games U.S." liegt erst wenige Wochen zurück, da kommt schon das Action-Spektakel "Der unglaubliche Hulk" in die Kinos, in dem Roth den Spezialagenten Emil Blonsky spielt, der Jagd auf das grüne Monster macht, hinter dem sich der Wissenschaftler Bruce Banner (Edward Norton) verbirgt.
Zeitgleich startet Francis Ford Coppolas melancholisches Drama "Jugend ohne Jugend", das den oft mürrisch und introvertiert wirkenden Schauspieler vor völlig neue Herausforderungen stellte.
Denn in Altmeister Coppola, der noch immer ein strenges Regiment führt, fand auch Roth seinen Meister, wie er nach Abschluss der Dreharbeiten freimütig zugab: "Jeder Tag ist ein Freitag, man fühlt sich als hätte man eine ganze Woche gearbeitet. Coppola ist unerschrocken, wirklich völlig unerschrocken!"
In der Adaption des Romans von Mircea Eliade, in der auch Alexandra Maria Lara und Bruno Ganz zu sehen sind, verkörpert Roth den 70-jährigen Sprachforscher Dominic Matei, der eines Tages von einem Blitz getroffen wird. Als Matei im Krankenhaus erwacht, ist er um Jahrzehnte verjüngt und versucht nun, frühere Fehlentscheidungen zu korrigieren und sein Leben noch einmal neu zu ordnen.
Dass sich Tim Roth dem Kinopublikum am selben Tag mit einer feinsinnigen poetischen Parabel und einem knallbunten Kassenschlager vorstellt, ist sicher Zufall, zeigt aber auch die große Bandbreite, die sich der Schauspieler seit den frühen 80er Jahren angeeignet hat.
Damals sammelte der 1961 in London geborene Sohn eines Journalisten und einer malenden Lehrerin, der am Camberwell College of Art eigentlich Bildhauerei studieren wollte, erste Bühnenerfahrungen. Außerdem stand er bereits für hoch gelobte Independent-Werke wie "Made In Britain" oder "The Hit" vor der Kamera.
Ohne eine reguläre Schauspielausbildung genossen zu haben, sorgte er in Peter Greenaways "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" (1989), Robert Altmans "Vincent und Theo" (1990) und Tom Stoppards "Rosenkranz & Güldenstern" (1991) international für Aufmerksamkeit, bevor ihm Quentin Tarantino endgültig zum Durchbruch verhalf.
Die schräge Regielegende engagierte Roth nicht nur für ihr Leinwanddebüt "Reservoir Dogs" (1992), sondern auch für den Kultstreifen "Pulp Fiction" (1994) und den Episodenfilm "Four Rooms" (1995).
Derzeit spekulieren Branchenkenner über eine Neuauflage der Zusammenarbeit, doch ob der Schauspieler tatsächlich in Tarantinos "Inglorious Bastards" zu sehen sein wird, ist offenbar noch nicht entschieden. "Ich habe darüber mit Quentin schon vor sehr langer Zeit gesprochen, wir werden mal sehen, was draus wird. Ich hoffe natürlich, dass es wirklich klappt", gab Roth vor Kurzem zu Protokoll.
Allerdings ist Tim Roth auch ohne Tarantinos Hilfe zu großen Leistungen fähig: Seit Mitte der 90er Jahre brilliert er in komplexen Rollen, die sich längst nicht mehr auf die kleinen, hinterhältigen Gauner und Ganoven beschränken.
In Woody Allens "Alle sagen: I Love You" (1997) war er als Musicaldarsteller erfolgreich, "Die Legende vom Ozeanpianisten" (1998) zeigte ihn als sensiblen Künstler, auf dem "Planet der Affen" (2001) mimte er den Schimpansen-General Thade, und für Wim Wenders mutierte er in "Don’t Come Knocking" (2005) zum Versicherungsdetektiv.
Dass Tim Roth ausgerechnet für seine Rolle in dem uninspirierten Kostümschinken "Rob Roy" (1995) eine Oscar- und eine Golden-Globe-Nominierung bekam, mag das Misstrauen des qualitätsbewussten Einzelgängers gegen manche Belanglosigkeiten des internationalen Filmgeschäfts weiter verschärft haben.
Der dreifache Familienvater und politisch engagierte Schauspieler, der wegen seines Plädoyers für strengere Waffengesetze auch schon mit der inzwischen verstorbenen Hollywood-Legende Charlton Heston aneinander geriet, beschloss deshalb, selbst Regie zu führen und Publikum und Kritik mit einer provokanten Inszenierung zu konfrontieren.
In "The War Zone" (1999) erzählte Roth die Geschichte eines Inzest-Dramas, das mit der Ermordung des Vaters endet und erschütternde Bilder einer vollständig zerrütteten Familie zeigt. Das Publikum reagierte - wie erwartet - verhalten auf die drastische Darstellung, doch die Fachwelt belohnte den Mut des frisch gebackenen Regisseurs.
Roth gewann neben dem C.I.C.A.E. Award der Internationalen Filmfestspiele Berlin auch Preise beim Edinburgh International Film Festival, beim portugiesischen Festival Internacional de Cinema de Tróia und beim spanischen Valladolid International Film Festival.
Insofern könnte er sich mittlerweile auch selbst engagieren, doch vorerst wird das kaum nötig sein. Bis 2010 ist Tim Roth mit neuen Filmprojekten vollständig ausgebucht.