Krankenpfleger war süchtig, Patienten zu töten
Der ehemalige Krankenpfleger Niels H., der schon 30 Tötungen gestanden hat, soll laut Anklage lebenslang hinter Gitter.
Delmenhorst. Als er über die ungeheuerlichen Vorwürfe spricht, ist der ehemalige Krankenpfleger ruhig. Sachlich — als würde er über etwas sehr Alltägliches reden — schildert er vor Gericht, wie er sich die Patienten am Klinikum Delmenhorst aussuchte. Wie er die Spritzen mit dem in vielen Fällen todbringenden Medikament befüllte. Wie gut er sich fühlte, wenn es ihm gelang, seine Opfer danach wiederzubeleben. Und wenn sie starben? „Dann war ich niedergeschmettert“, erinnert sich der 38-Jährige. Doch stoppen konnte ihn das damals nicht.
Der Pfleger suchte den Kick. Deshalb tat er es wieder und wieder. Es sei wie eine Art Sucht gewesen, sagt er. Etwa 90 Taten — an die genaue Zahl erinnert er sich nicht — hat er vor Gericht gestanden. Bis zu 30 Patienten sollen gestorben sein. „Das Ausmaß meiner Straftaten habe ich damals gar nicht realisiert“, sagt der Angeklagte. Das sei erst während des Prozesses am Landgericht Oldenburg gekommen, wo er seit September wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuchs angeklagt ist.
Wie an jedem Prozesstag betritt der massige Mann den Gerichtssaal mit einer roten Aktenmappe vor dem Gesicht und lässt diese erst sinken, als die Fotografen und Kamerateams verschwunden sind. Wenn sein Geständnis stimmt, könnte der Angeklagte für eine der größten Mordserien an Krankenhäusern in Deutschland verantwortlich sein. Was geht in so einem Menschen vor? Monatelang hat er vor Gericht geschwiegen, große Teile des Verfahrens starr vor sich hingeblickt.
An diesem Tag will er nun endlich reden, über seine Motive und wie er seine Taten plante. Selbstbewusst tritt er auf, seine Stimme ist fest. „Meistens war es so, dass die Entscheidung das zu tun, relativ spontan war.“ Wenn er ein geeignetes Opfer gefunden hatte, war es nur noch eine Sache von Minuten. Er spritzte den Patienten 30 bis 40 Milliliter eines Herzmedikaments, wartete, bis sich ein Kreislaufkollaps oder eine andere Krise abzeichnete und verließ dann schnell das Zimmer. Als kurz darauf der Alarm losging, eilte er für die Reanimation zurück. Anschließend habe er ein Gefühl der Genugtuung gehabt, der Zufriedenheit, sagt er.
Für Angehörige wie Kathrin Lohmann bricht danach eine Welt zusammen. Seit Monaten sitzt sie dem Angeklagten an jedem Prozesstag gegenüber. Der Mann soll Schuld am Tod ihrer Mutter sein. An diesem Tag blickt er ein erstes Mal in ihre Richtung. „Es tut mir wirklich leid“, sagt er. Er wisse, dass sein Verhalten nicht entschuldbar sei. Seine Stimme ist belegt, er sieht angegriffen aus. Lohmann glaubt jedoch nicht, dass er tatsächlich Reue empfindet. „Die Entschuldigung nehme ich ihm nicht ab.“ Dafür komme diese zu spät, sagt die Frau in einer Verhandlungspause.
Die Staatsanwaltschaft fordert später eine lebenslange Haftstrafe. Der Angeklagte nimmt das nahezu regungslos hin. Er hat sich längst damit abgefunden, dass ihm die Höchststrafe droht. Er empfinde das als angemessen, sagt er selbst. Dem psychiatrischen Gutachter hat er erzählt, dass ihm im Traum Gesichter erscheinen, die er nicht zuordnen kann. An viele der Opfer kann er sich nicht erinnern — zu groß war die Zahl seiner Taten.