Kriegskinder: Hilfe für 140 kleine Patienten
Ärzte und viele andere Helfer lindern das Leid der jüngsten Opfer – ehrenamtlich.
Solingen. Cerstin Rauhaus ist kaum älter als die Opfer. Und die 20-jährige DRK-Helferin hat einen Traum: "Gäbe es keine Soldaten und keine Taliban in Afghanistan, wäre doch Frieden, oder?", denkt sie, als der Rettungstransportwagen des Solinger DRK auf die Hildener St.Josefs-Klinik zurollt. 42 Helfer haben die Solinger aufgeboten. Mit dabei: Kollegen aus Leichlingen, Remscheid, Haan. Eine bergische Allianz gegen den Krieg und für die Kriegskinder.
"Eine Rundmail reichte, dann konnten wir uns vor DRK-Helfern und Freunden der freiwilligen Feuerwehr kaum retten", beschreibt Kreisbereitschaftsleiter Stefan Nippes sein schönstes Geburtstagsgeschenk. Nippes ist an diesem Tag 42 Jahre alt geworden. Das Solinger DRK fährt seit zwei Jahren Kriegsopfer für die Oberhausener Hilfsorganisation. Wer das einmal macht, sagen alle, der will das immer wieder tun.
So warten sie an diesem kalten Nachmittag vor Tor 47 geduldig am Düsseldorfer Flughafen. Die Sondermaschine hat Verspätung - im Kabul dieser Tage haben Militärmaschinen Vorrang. Dann kommt sie. Schneeweiß das Flugzeug, tiefrot der Himmel: Als wolle sie so auf eine Ansichtskarte, schwebt die Boeing 737 der tadschikischen Somon Air beim letzten Tageslicht in Düsseldorf ein. An Bord sind 140 Kinder - Tadschiken, Armenier, Georgier und fast 100 kleine Afghanen.
Der Krieg in Afghanistan kennt keinen Karneval. Und dass das Friedensdorf diesen Termin für seinen 58. Afghanistan-Einsatz gewählt hat, liegt nicht nur an der katastrophalen Lage in Kabul. "Diesmal sind viele verletzte Kinder aus den umkämpften Provinzen an Bord", sagt Helge Schreiber. Der Friedensdorf-Helfer ist froh, genügend Krankenhausbetten gefunden zu haben. Rund 100Kliniken im Bundesgebiet helfen diesmal - deren Ärzte operieren kostenlos. Noch am Morgen haben drei weitere Kliniken Betten zugesagt.
24 Stunden Bereitschaft liegen hinter Patrick Follmann. Doch der Notarzt im Klinikum Solingen verschiebt wegen des kleinen Abdullah den Schlaf aufs Wochenende. Die Verletzung im Unterleib des Babys ist kompliziert, lange war nicht klar, ob der Zweijährige mit nach Deutschland kann. Jetzt legt Medizinstudent Jens Reifenrath (28) dem weinenden Kind ein Stoffschaf in den Arm, und Fahrer Holger Migdalek, im Hauptberuf Personalchef der Solinger Sparkasse, schaltet das Blaulicht ein. Abdullah muss mit Sonderrechten ins Krankenhaus nach Hamm.
Mit dem Abschalten der Triebwerke ist auch für Kevin Dahlbruch (28) und Maria Tinnefeld (29) ein harter Zwei-Wochen-Job zu Ende. Nicht einmal 30 Jahre alt, gelten beide Friedensdorf-Helfer als routiniertes Team mit langer Auslandserfahrung. Doch Dahlbruch wird sich später an die jüngsten Attentate in Kabul erinnern: Die Menschen hätten einen Wohnblock daneben einfach weiter gearbeitet. Krieg ist Alltag in Kabul.
Fast 30 Rettungswagen säumen das Rollfeld. Als Abdullah schon lange auf der A3 sein kleines Schaf umklammert, schwirren sie aus nach Bayern, an die Nordsee, nach Berlin. Die Retter sind unterwegs. Allein die Wagen aus dem Bergischen Land werden in dieser Nacht 6500 Kilometer rollen. Als Mir Achmad (9) kurz aufwacht, sieht er einen blonden Engel. Kerstin Rauhaus kontrolliert die Gurte der Trage und lächelt den kleinen Jungen aus Kabul an. Im Hildener Krankenhaus studiert Dr. Hans Beier-Helms die Diagnose "Knochenmarkentzündung" und erinnert sich an seinen Neffen. Bei dessen Einschulungsmesse hätten sie gesungen: "Gott hat alle Kinder lieb". So ganz, sagt der Chirurg und Familienvater, könne er das nicht mehr glauben.