Leben und leben lassen - eine Typologie der Wiesn-Gäste
München (dpa) - Sechs Millionen Besucher kommen an den 16 Festtagen auf das Münchner Oktoberfest (19. September bis 4. Oktober). Die Wiesn eint sie alle - dabei sind sie so verschieden.
Die einen haben eine echte, teure Tracht, die anderen eine billige Montur, schnell auf dem Weg zum Fest gekauft.
Manche sprechen Bayrisch, andere verstehen das nicht. Die meisten mögen Bier. Aber einige vertragen es nicht - zumindest nicht in den auf der Wiesn üblichen Mengen. Eine Typologie der Wiesn-Gäste:
Der Münchner: Er kommt in Jeans, höchstens im Janker (das ist eine Trachtenjacke). Der Münchner der gehobenen Mittelschicht und des gehobenen mittleren Alters isst im Biergarten zu Mittag sein Hendl. Gut zwei Drittel der Gäste sind Bayern. Manche unken aber, Münchner seien eine bedrohte Wiesn-Spezies, weil es ihnen zu voll ist.
Der einheimische Partygänger: Um die 20 Jahre alt, aus Bayern. Er steht an Samstagen frühmorgens vor dem Zelt, um einen Platz zu bekommen. Dort sitzt er bis zum Schankschluss um 22.30 Uhr. Manchmal hat er dann zwei Promille und landet in der Sanitätsstation. Sonst feiert er auf After-Wiesn-Partys weiter. Er fährt mit der Bahn heim - so sehen die Züge auch aus.
Der Trachtler: Echte Trachtler waren vor allem am ersten Sonntag zu sehen. Sie laufen in einem der größten Trachtenzüge weltweit zur Wiesn. Frauen brauchen oft Stunden, bis sie ihre historischen Gewänder angelegt und die Haare gerichtet haben. Trachten können mehrere Tausend Euro kosten. Auf Träger von Mini-Dirndl und Billig-Lederhosen blicken echte Trachtler mit Kopfschütteln - aber in Bayern gilt: Leben und leben lassen.
Bub/Madel: Zuckerwatte, süße Limo, Pommes, dazu Geisterbahn, Karussell und Schiffschaukel - die Wiesn scheint ein Eldorado für Kinder. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Der Krach, die vielen Menschen und die langen Wege sind für manchen kleinen Gast zu viel. Der Wiesn-Tag kann zum Nervenkrieg werden. Immer wieder gehen Kids im Gedränge verloren - eine Kinderfundstelle sammelt sie und gibt sie den Eltern zurück.
Der Vegetarier: Veggieday! Früher hätten Vegetarier das größte Volksfest hungrig verlassen müssen. Heute bieten die Wirte natürlich vegetarische und sogar vegane Gerichte an: Käsespätzle. Oder Crêpes mit Schokocreme. Trotzdem demonstrierten 2012 Vegetarier gegen die Fleischeslust und das Leiden der Tiere. Eine halbe Million Hendl und an die 100 Ochsen sterben für das Fest. Wirtesprecher Toni Roiderer: „Ich mische mich ja auch nicht ein, wenn die Vegetarier dem Vieh das Futter wegessen.“
Masskrugschläger und Masskrugdieb: Beide geraten wegen des traditionellen Trinkgefäßes mit dem Gesetz in Konflikt. Wer mit dem Krug zuschlägt, hat diesen zuvor oft mehrfach geleert. Oft ist der Anlass später vor Gericht kaum zu klären. Der Maßkrugdieb hingegen möchte meist ein Souvenir. Wirte klagen, der Diebstahl von Krügen habe sich regelrecht zum Volkssport entwickelt.
Der Taschendieb: Der Taschendieb reist ebenso wie die Besucher bisweilen von weither an, um an dem Großereignis teilzuhaben. Die Polizei beklagt vor allem organisierte Banden, die mit Tricks angetrunkene Besucher um Geld, Handy oder Kamera bringen. Es gibt aber auch den Gelegenheitsdieb - mancher macht es ihm allzu einfach. Taschendiebfahnder aus mehreren Ländern wollen den Dieben das Handwerk legen.
Der Italiener: Er kommt im Wohnmobil. Über den Brenner. Mit Zehntausenden anderen. Er will Bier und Spaß. Das zweite Wochenende gehört den Italienern. Dirndl und Lederhose tragen sie längst. Obwohl verboten, stellt mancher sein Wohnmobil an der Theresienwiese ab und sucht nach dem Bierzeltbesuch vergeblich seinen Schlafplatz - abgeschleppt. Den meisten gefällt es so gut, dass sie jedes Jahr wieder kommen. Zur besseren Verständigung werden Südtiroler Polizisten eingesetzt.
Der Australier: Er reist etwa eine Woche vor der Wiesn an - und trinkt sich schon mal ein. Das bayerische Bier ist stärker als der in Australien übliche Gerstensaft, dafür billiger. Die Kombination aus höherem Alkoholgehalt und niedrigerem Preis ist für manche fatal.
Der Norddeutsche: Er kommt gern als Gruppe, Stammtisch oder Verein und trägt oft trachtenähnliches Outfit, etwa kariertes Hemd. Das ist eher Holzfällerstil, wird von ihm aber als bayerisch eingeordnet - hält er den Bayern doch für einen Hinterwäldler. Nüchtern macht er sich über ihn lustig. Je mehr er sich an dem bayerischen Bier versucht, desto mehr gleicht er aber dem Bild. Für den Norddeutschen ist die Reise auch eine Safari, bei der er seltene Einheimische erleben möchte.
Der Verweigerer: Es gibt Menschen, die mögen die Wiesn nicht. Sie verabscheuen Lärm. Sie trinken kein Bier. Beim Karussellfahren wird ihnen schlecht. Sie hassen es, auf dem Heimweg durch Exkremente zu tappen. Sie finden Dirndl und Lederhosen blöd. Es gibt Gründe, die Wiesn nicht zu mögen.