Petition Loveparade: 362 000 Stimmen für Prozess

Eltern von Opfern des Techno-Festivals haben eine Petition an das Düsseldorfer Oberlandesgericht gerichtet. Sie hoffen, die Verantwortlichen doch noch vor Gericht zu sehen.

Foto: dpa/Eike Rüdebusch

Düsseldorf. Mehr als 362 000 Unterschriften hat Gabi Müller aus Hamm gesammelt. 362 000 Unterschriften, die für ihren „inneren Frieden“ sorgen sollen, wie sie sagt. Denn Müller hat ihren Sohn verloren, ihr einziges Kind. Christian Müller starb mit 25 Jahren am 24. Juli 2010 im Gedränge der Loveparade in Duisburg. Er war eines von 21 Opfern, die zu Tode kamen, und mindestens 652 Menschen, die verletzt wurden. Mit den Unterschriften kämpft Müller dafür, dass der Strafprozess gegen die Verantwortlichen doch stattfindet.

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Gestern, sechs Jahre und einen Tag nach der Katastrophe, gab Gabi Müller zusammen mit anderen Eltern von Opfern und mit Überlebenden die Unterschriften ihrer Online-Petition beim Oberlandesgericht (OLG) in Düsseldorf ab. Sie wollen Druck ausüben, zeigen, dass eine Aufklärung gefordert wird. Im April hatte das Landgericht Duisburg die Hauptverhandlung nicht zugelassen, weil mit den vorgelegten Beweismitteln eine Verurteilung nicht zu erwarten gewesen sei. Unter anderem wegen „gravierender inhaltlicher und methodischer Mängel“ im Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat deswegen kürzlich den Wuppertaler Verkehrsexperten Jürgen Gerlach mit einem neuen Gutachten beauftragt.

„Dass mein Kind tot ist, das muss ich akzeptieren“, sagte Gabi Müller vor dem OLG. „Dass es keine Verantwortlichen gibt, das kann und werde ich nicht akzeptieren.“ Sie wolle wenigstens nichts unversucht lassen, auch wenn ihr klar sei, dass sie ihre Mittel begrenzt seien.

Denn ob die Petition Erfolg haben wird, ist zweifelhaft. Müller selbst gibt sich zwar kämpferisch, aber desillusioniert: „Die Erfolgssaussichten bei unserem System sind gleich Null.“ Sechs Jahre nach der Katastrophe befürchtet sie, das weitere vier Jahre lang nichts passiert — womit die Verjährungsfrist von zehn Jahren erreicht wäre. „Wo ist der Rechtsstaat?“, fragt sie.

Tatsächlich hat die Petition nicht mehr als symbolischen Charakter. Denn Gerichte müssen unabhängig sein und dürfen sich nicht beeinflussen lassen. So sagt auch der Sprecher des OLG, Andreas Vitek, dass der zuständige Senat „unabhängig von der Petition ausschließlich nach Recht und Gesetz“ entscheiden werde, ob das Verfahren doch eröffnet werde.

Dennoch ist das Interesse groß. Sowohl am OLG, an dem den acht Angehörigen und Überlebenden etwa 20 Reporter gegenüberstehen, als auch in der virtuellen Welt, in der 362 000 Nutzer Aufklärung fordern — aus Deutschland, Italien, Spanien und anderen Teilen der Welt. Für Jeannette Gusko, Sprecherin der Seite Change.org, ist die Petition von Gabi Müller eine Ausnahmeerscheinung. „Dieses Ausmaß ist selten“, sagt sie. Die Kombination aus Mitfühlen mit den Hinterbliebenen und dem Gefühl der fehlenden Rechtssicherheit schaffe ein hohes Maß an Identifikation.

Dafür sind Müller und die anderen dankbar. Gabi Müller sagt, sie sei „überwältig von so viel Anteilnahme“. Sie habe gerade in den vergangenen Tagen viele „liebevolle Worte“ gelesen. „Das ist etwas für für die Seele.“

Uwe Kupka (43), der selbst auf der Loveparade war und bis heute psychisch mit den Folgen zu kämpfen hat, sagt: „Die Petition gibt uns allen ein bisschen Hoffnung.“ Auch wenn er an sich mit dem Prozess abgeschlossen habe.

Auch Thorolf Schmidt (44) beschreibt den „Funken Hoffnung“, der wegen der großen Unterstützung aufkomme. „Es ist ein starkes Signal. Aber nicht bindend.“ Der Selbstständige aus Hilden ist damals unter die Füße der Massen geraten. Er hat überlebt, hat aber bis heute körperliche Beschwerden, weil unter anderem seine Bizepssehne gerissen war. Sollte das OLG sich gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens entscheiden, sei er bereit, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.

Ob das nötig sein wird, ist offen. Der Rechtsanwalt von Müller und anderen Hinterbliebenen, Julius Reiter, gibt sich optimistisch: „Wir bleiben hoffnungsvoll, dass das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts aus rechtlichen Gründen aufheben und an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverweisen wird.“ Die Entscheidung darüber fällt, wenn das OLG alle Beweise und Beschwerden noch einmal geprüft haben wird.