Mehr Tote bei Fährunglück vor Südkorea
Seoul (dpa) - Am Wrack des südkoreanischen Fährschiffs „Sewol“ gehen die Bergungsarbeiten auch in der Nacht weiter. Die Helfer ziehen immer mehr Leichen aus dem Wasser. Viele Menschen werden noch vermisst.
Die Zahl der Toten beim Fährunglück vor Südkoreas Küste ist in der Nacht zum Freitag weiter gestiegen. Am frühen Morgen (Ortszeit) hatten Bergungskräfte bereits 25 Leichen aus den Wasser gezogen, wie die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtete. Immer mehr Opfer trieben im Meer. Zugleich wurden noch mehr als 250 Menschen vermisst. Die Hoffnung, nach dem Kentern der „Sewol“ am Mittwoch noch Überlebende zu finden, schwand mit jeder Stunde. Mehr als 300 der rund 470 Passagiere waren Oberschüler auf einem Ausflug.
Unterdessen wurde harte Kritik an Kapitän und Besatzung der Unglücksfähre laut. Überlebende erklärten, es hätten mehr Passagiere gerettet werden können, wenn das Schiff früher evakuiert worden wäre. Nur eines von 46 Rettungsbooten wurde nach Medienberichten zu Wasser gelassen. Die Passagiere seien zudem aufgefordert worden, sich nicht von der Stelle zu bewegen oder in ihren Kabinen zu bleiben.
„Bleiben sie, wo sie sind. Wenn sie sich wegbewegen, könnte es gefährlicher werden“, wurden Durchsagen zitiert. Als das Schiff sank, war es wohl zu spät. „Viele meiner Freunde konnten keine Rettungswesten mehr anlegen, weil das Wasser zu schnell hereinströmte“, sagte der Oberschüler Lee Da Woon der Zeitung „JoongAng Daily“.
In die Trauer und Verzweiflung der Angehörigen mischte sich Wut über verwirrende Angaben der Behörden und die Reaktion der Besatzung. Der Kapitän bedauerte das Unglück: „Mir tut es um die Passagiere und die Familien der Vermissten leid.“ Nach unbestätigten Berichten soll der Kapitän einer der ersten gewesen sein, der das sinkende Schiff verließ. Ihm drohe eine Ermittlung wegen Fahrlässigkeit, hieß es. Ein Sprecher der Küstenwache wollte das aber nicht bestätigen.
Die Polizei bestritt Berichte, wonach Eingeschlossene noch Textnachrichten aus dem Rumpf des Schiffes gesendet hätten, wie die Nachrichtenagentur Yonhap berichtete. Bei den zitierten SMS wie „Ich fürchte, wir müssen alle sterben“ handele sich um Fälschungen.
Die Ursache des Unglücks war am Donnerstag unklar. Aussagen von Besatzungsmitgliedern ließen vermuten, dass eine plötzliche Kursänderung vor der Insel Chindo zu der Katastrophe geführt haben könnte. Möglich ist auch, dass die Auto- und Personenfähre auf einen Felsen auflief. Überlebende hatten von einem großen Knall vor dem Sinken des Schiffes gesprochen. Untersucht wurde auch, ob das Schiff von der vorgesehenen Route abgewichen sei.
Taucher versuchten am Donnerstag zehnmal vergeblich, in den Rumpf des Schiffes vorzudringen. Die Tauchgänge wurden am frühen Nachmittag wegen schlechten Wetters abgebrochen und erst am Abend wieder aufgenommen. Mehr als 500 Taucher standen zum Einsatz bereit. 169 Schiffe und 29 Flugzeuge waren im Einsatz. Fast 180 Menschen konnten gerettet werden. Es dürfte das schlimmste Schiffsunglück in Südkorea seit zwei Jahrzehnten sein.
Die Chancen für die Vermissten schwanden rapide: Bei einer Wassertemperatur von zwölf Grad könnten Menschen im Wasser höchsten zwei bis drei Stunden aushalten, bevor die Unterkühlung einsetze, sagte ein Experte dem staatlichen Sender Arirang. Und um in dem Wrack überleben zu können, müsse man eine Luftblase finden. Allerdings sinke der Sauerstoffgehalt.
Die Empörung der verzweifelten Familien bekam Südkoreas Staatspräsidentin Park Geun Hye zu spüren, als sie die Unglücksstelle und Familien der Vermissten besuchte. Verärgerte Verwandte riefen und schrien, während sie eine kurze Ansprache hielt, berichtete Yonhap. Angesichts des kalten Wassers sei „jede Minute kritisch, falls es Überlebende gibt“, sagte Park. „Es ist verstörend, dass die Bergungsarbeiten nicht schnell genug voranschreiten, obwohl soviel Kräfte und Ausrüstung eingesetzt werden.“
325 Teenager einer Oberschule aus einer Vorstadt von Seoul waren zusammen mit Lehrern auf dem Weg von der westlichen Küstenstadt Inchon zur südlichen Ferieninsel Cheju, als das Schiff am Mittwochmorgen in Seenot geriet und einen Notruf absetzte. Etwa zwei Stunden später sank die Fähre mit mehreren Decks fast komplett.
Nur noch der Bugwulst ragt aus dem Wasser hervor. Dies sei damit zu erklären, dass das Wasser an der Stelle nur etwa 30 bis 40 Meter tief und die Fähre mehr als 140 Meter lang sei, sagte ein Sprecher der Küstenwache. Kräne würden in den nächsten Tagen zur Unglücksstelle gebracht, um das Wrack zu heben.