Mesut Özil – der bescheidene Held
Er ist jung. Er wirkt schüchtern. Und doch ist der Fußballer mit türkischen Wurzeln das Herz der Nationalelf.
Berlin. Als Angela Merkel die deutsche Kabine im Berliner Olympiastadion betrat, unterbrach DFB-Internist Tim Meyer seine Behandlung. Die Kanzlerin, euphorisch der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zugeneigt, wollte den Helden des Abends nach dem 3:0-Sieg gegen die Türkei gratulieren.
Und so streckte Mesut Özil trotz aufdringlicher Knöchelblessur der Kanzlerin die Hand entgegen - und besiegelte die deutsch-türkische Freundschaft. Ein etabliertes Ritual: Aus einer ähnlichen Zusammenkunft in Südafrika nach dem 4:0 gegen Argentinien resultierte das legendäre Özil-Zitat: "Die Kanzlerin war sehr lieb."
Politiker lassen sich bisweilen gerne mit erfolgreichen Sportlern ablichten, der Glanz, sagt man, strahlt dann ab. Insofern dürfte Merkel dieses Fotos ganz gelegen kommen. Sie im dunkelgrünen Kostüm, er mit nacktem Oberkörper. Das hat was Launiges, das hat Pfiff. Özil hingegen sollte dafür sorgen, dass die Aufnahmen in der Türkei keine größere Aufmerksamkeit erfahren. Denn von der Liebe Özils zu Deutschland hatten die Türken schon vor dem Händedruck mit Merkel genug.
Der Deutsch-Türke, vor 21 Jahren in Gelsenkirchen in einer türkische Familie geboren, die in dritter Generation in Deutschland lebt, hatte das am Freitag spüren müssen. Pfiffe bei jeder Ballberührung. Özil hatte sich vor Jahren für Deutschland, also gegen die Türkei entschieden. Die türkischen Fans lebten diesen Schmerz an diesem Abend von Berlin auf ihre Art aus. Özil nahm es auf seine Art an.
"Ich habe das ausgeblendet. Das Team und unsere deutschen Fans haben mich toll unterstützt. Das freut mich riesig", sagte Özil, dessen Leben und Karriere immer spektakulärer werden. Der Junge, der in seiner Heimat Schalke nicht glücklich wird, in Bremen zaubert, in der Nationalelf begeistert und inzwischen im Spiel des Weltvereins Real Madrid den kunstvollen Part übernimmt.
Seine Freundin ist Anna Maria Lagerblom, Schwester des Popstars Sarah Connor. Für ihn, schrieb der Boulevard, ist Lagerblom sogar zum Islam konvertiert. Und bei allem wirkt Özil nur wie ein schüchterner junger Mann, dem diese Geschichten einfach so passiert sind. Und der jetzt zusehen muss, wie er damit umgeht.
Gegen die Türkei gelang ihm das herausragend. Özil schoss gegen alle Pfiffe an einfach ein Tor. Und freute sich derart bescheiden, dass man es Jubel nicht nennen konnte. "Das war eine spontane Entscheidung aus Respekt vor der Heimat meiner Vorfahren", sagte er später. Sogar seine roten Schuhe waren als verstecktes Zeichen der Zuneigung zur Türkei gedeutet worden. Bisweilen ist Fußball Politik.
Vor dem EM-Qualifikationsspiel der deutschen Mannschaft morgen gegen Kasachstan ist Fußball aber auch einfach mal wieder nur Fußball. Vielleicht sogar ohne Özil. Gestern konnte er nicht am Training teilnehmen, der Bluterguss im linken Fußgelenk schmerzte. Bundestrainer Joachim Löw gab leichte Entwarnung. "Ich gehe davon aus, dass Mesut spielt", sagte er. Verzichten mag er auf Özil nicht mehr, zu wichtig ist der Fußball-Künstler für das deutsche Spiel. Und für gute Fotos.