Mit dem Weihnachtsbaum durchs Watt

Nordstrandischmoor (dpa) - „Vorsicht Friese!“ warnt ein Aufkleber in August Glienkes Lore. Mögen die Friesen schon eine besondere Sorte Mensch sein, so trifft dies auf Halligbewohner vielleicht noch mehr zu.

Der 54-Jährige wohnt auf Nordstrandischmoor, eine der kleinen Halligen im nordfriesischen Wattenmeer. Die einzige Verbindung des 18-Seelen-Eilands zum schleswig-holsteinischen Festland ist ein schmaler, etwa 3,5 Kilometer langer Bahndamm. Mit kleinen Schienenfahrzeugen, den Loren, juckeln die Halligbewohner durchs Watt Richtung Lüttmoorsiel.

Glienke ist auch der offizielle „Posttransporteur“, der Briefe, Pakete und Päckchen vom Festland auf die Hallig bringt. Seine Frau verteilt sie an die Empfänger auf den vier Warften - kleinen Hügeln, auf denen die fünf Häuser der Hallig stehen. Früher wurde das von einer Reederei erledigt, seit 1976 ist Glienke der „Postmann“.

Trotz Weihnachtszeit gibt es an diesem Tag für Glienke keine Pakete zu schleppen. Ohnehin kommt die Post von November bis Februar nur dreimal in der Woche. Am letzten Tag vorm Fest versucht er aber immer, noch Post zu holen - wenn ihm kein „Landunter“ einen Strich durch die Rechnung macht.

Statt Briefen hat er nun zwei Weihnachtsbäume vom Markt in Struckum geholt, einen davon für seine 80-jährige Mutter, die bei ihm und seiner Familie wohnt: vier Generationen unter einem Dach. Zu den Jüngsten gehört Glienkes Enkelin, eines von insgesamt vier Kindern in der Halligschule. Auch Glienkes drei Söhne besuchten die Schule, gingen aber anschließend aufs Festland: Mehr als der Hauptschulabschluss ist auf Nordstrandischmoor nicht drin.

Im stechenden Seewind packt Glienke die Bäume auf die offene Lore. Mit 15 Stundenkilometern rumpelt das Gefährt los. Nach kurzer Zeit zieht Glienke die Ohrenklappen seiner Mütze herunter, der eisige Wind färbt die Haut rot. Die Umhängetasche ziert ein Stadtplan von New York - träumt der Nordfriese heimlich von der Weltstadt? „Nee“, schüttelt er grinsend den Kopf. „Ich bin immer froh, wenn ich wieder auf der Hallig bin. Ein Tag in Husum langt.“ Das ist für ihn Metropole genug.

Langsam tauchen aus dem Wasser links und rechts des Damms Gräser auf, schließlich kommt Land. Einige Schafe weiden im fahlen Mittagslicht. Nach 20 Minuten Fahrt schnurrt die Lore bis kurz vor die Warft, auf der Glienkes Haus liegt. Dort betreibt er auch eine Gastwirtschaft. Jetzt im Winter ist aber nichts los. Wie alle auf Nordstrandischmoor lebt er von der Arbeit beim Küstenschutz.

Mit dem Trecker fährt er die Weihnachtsbäume hoch auf die Warft. Auf halber Strecke lässt sich an Gras und Tang ablesen, wie hoch das letzte „Landunter“ in der vorigen Woche reichte. „Aber das ist ja gar nichts“, meint Glienke. 1976 gab es eine richtig schlimme Sturmflut, da stand das Wasser schon im Hof. In diesem Jahr geht es beschaulicher zu.

„Freitag ist Weihnachtsfeier“, erzählt Glienke in der Wohnküche, während draußen der Schneeregen einsetzt und einer der beiden Hofhunde in der Diele döst. Sämtliche Halligbewohner gehen zusammen in die Kirche, die auch als Schule dient. Die Kinder führen ein Stück auf. „Dann kommt der Weihnachtsmann.“ Extra vom Festland? „Nein, das bin ich“, verrät der Hallig-Postmann.