Fall Stephanie Mörder nach 26 Jahren gefasst: Mühevolle Puzzlearbeit führt zum Ermittlungserfolg
Der mutmaßliche Mörder der kleinen Stephanie soll schon früher mindestens ein weiteres Kind sexuell missbraucht haben. Dass Polizei und Staatsanwaltschaft nun glauben, ihm den Mord nachweisen zu können, hat auch mit moderner Ermittlerarbeit zu tun.
Jena/Berlin. Das richtige Gespür einer Ermittlerin, neue Methoden zur DNA-Analyse und moderne Computertechnik: Dieses Zusammenspiel hat die Thüringer Polizei nach fast 27 Jahren zu dem mutmaßlichen Mörder der zehn Jahre alten Stephanie aus Weimar geführt. „Insgesamt gesehen war es eine Puzzlesteinarbeit, wie ich sie noch nie erlebt habe“, sagte der Leiter der Polizei in Jena, Thomas Quittenbaum, am Dienstag in der Stadt an der Saale.
Die Ermittler sind sicher, dass ein 65-Jähriger aus Berlin Stephanies Mörder ist. Spezialkräfte der Polizei hatten den einschlägig vorbestraften Deutschen am Sonntag in der Hauptstadt festgenommen. Ein Spezialeinsatzkommando hätte seine Wohnung gestürmt, schilderte der Leiter der zuständigen Sonderkommission, Andreas Gerstberger. Der Verdächtige habe die Polizisten mit einer Eisenstange angegriffen. Bei dem Handgemenge sei er leicht verletzt worden. Der 65-Jährige sitzt nun in Untersuchungshaft.
„Stephanie wäre jetzt eine junge Frau, in der Mitte ihres Lebens“, sagte Quittenbaum zu Beginn der Pressekonferenz, auf der die Polizei und ein Vertreter der zuständigen Staatsanwaltschaft Gera den bisherigen Stand ihrer Erkenntnisse präsentierten. Die Leiche der Schülerin war 1991 unter der Teufelstalbrücke der Autobahn 4, etwa 20 Kilometer östlich von Jena, entdeckt worden. Sie war offensichtlich von der Brücke geworfen worden und an den Folgen des Sturzes gestorben.
Der nun festgenommene Mann hat nach Angaben der Ermittler als Lastwagenfahrer gearbeitet. Er sei im Raum Weimar aufgewachsen und kurz vor der Wende nach Berlin gezogen. Zudem ist er für Polizei und Justiz kein Unbekannter: Das Landgericht Gera habe den Mann 1996 wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, sagte der Leiters der Staatsanwaltschaft Gera, Thomas Villwock. Die habe der Beschuldigte auch abgesessen.
Ob er wegen des Missbrauchs an einem oder mehreren Kindern verurteilt wurde, wollte Villwock mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Tatverdächtigen nicht sagen. Klar ist für die Ermittler allerdings: Der Mann hat auch Stephanie sexuell missbraucht, ehe er sie getötet hat. Villwock sagte, mit dem Mord habe er den Missbrauch vertuschen wollen. Der Mann habe den Mord an Stephanie bei einer ersten Vernehmung unmittelbar nach seiner Festnahme gestanden, sagte Gerstberger. Die Befragung hätte jedoch zunächst unterbrochen werden müssen. „Er hätte wahrscheinlich auch weiter ausgesagt“, so der Leiter der Soko.
Bei ihren Ermittlungen rekonstruierten die Polizisten auch den Tattag mit dramatischen Szenen: Im August war Stephanie mit zwei jüngeren Geschwistern und einer Freundin im Weimarer Goethepark unterwegs. Dort soll sie ihr Mörder überredet haben, ihn herumzuführen. Nachdem sie nicht zurückkehrte, alarmierte die Freundin Stephanies Vater. Dieser suchte sofort per Fahrrad nach ihr. Die Mutter alarmierte die Polizei. Am Folgetag wurde die Stadt durchkämmt. Zwei Tage nach ihrem Verschwinden fanden Kinder Stephanies Leiche.
Dass die Tat nun offensichtlich aufgeklärt werden konnte, geht auf die Sonderkommission „Altfälle“ zurück. In ihr arbeitet die Thüringer Polizei seit Ende 2016 drei damals ungeklärte Kindermorde im Raum Jena aus den 1990er Jahre neu auf. Die Soko war eingesetzt worden, nachdem am Fundort der in Franken getöteten Schülerin Peggy eine DNA-Spur des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt entdeckt worden war. Es stellte sich jedoch heraus, dass es sich dabei um eine Verunreinigung bei der Spurensicherung gehandelt hatte. Die Soko setzte ihre Arbeit aber unabhängig davon fort.
Einer Polizistin stieß dann in den Akten zu den anderen beiden ungeklärten Mordfällen auf Spuren, die zu dem nun festgenommenen 65-Jährigen passten. Anschließend sei durch neue Möglichkeiten bei der DNA-Untersuchung festgestellt worden, dass der Mann mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter im Fall Stephanie sei.
Dazu kamen aufwendige Rekonstruktionsarbeiten: Unter anderem erstellte die Hochschule Mittweida im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Modell der Teufelsbrücke im Zustand des Tatjahres. Zudem musste der alte Aktenbestand in Handarbeit in das neue elektronische Fallbearbeitungssystem eingetragen werden. An den anderen beiden Fällen arbeite die Soko nun weiter, sagte Quittenbaum - mit der gleichen Intensität wie im Fall Stephanie. dpa