Mord ohne Leiche: Rätselhafter Kriminalfall vor Gericht

Kaum ein Kriminalfall in Spanien hat die Ermittler vor solche Rätsel gestellt wie der Mord an der 17-jährigen Marta. Die Leiche des Mädchens konnte nie gefunden werden. In Sevilla begann einer von zwei Prozessen gegen die mutmaßlichen Mörder.

Madrid. Ein Mordfall, keine Leiche, aber zwei Prozesse: In Spanien ist ein Fall vor Gericht gekommen, der das Land monatelang in Atem gehalten hatte. Dabei geht es um den Tod der 17-jährigen Marta, die sich vor zwei Jahren in der südspanischen Metropole Sevilla von ihrer Mutter mit den Worten verabschiedet hatte: „Ich bin sofort zurück.“ Das Mädchen tauchte nie wieder auf.

Die Ermittler gehen davon aus, dass Marta von ihrem Ex-Freund Miguel und einem damals 15-jährigen Komplizen vergewaltigt, erdrosselt und ihre Leiche in den Fluss Guadalquivir geworfen wurde. Der Prozess gegen den minderjährigen „El Cuco“ (der Kuckuck) wurde in Sevilla vor einem Jugendgericht eröffnet, das Hauptverfahren gegen den geständigen Miguel wird später vor einem anderen Gericht geführt.

Kaum ein Kriminalfall in der jüngeren spanischen Geschichte löste in der Öffentlichkeit einen solchen Wirbel aus wie dieser. Die Eltern des verschwundenen Mädchens starteten eine Initiative zur Einführung lebenslanger Haftstrafen. Sie legten im Parlament eine Sammlung von 1,6 Millionen Unterschriften vor und wurden von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero empfangen.

Nach spanischem Recht müssen Straftäter im Höchstfall 30 Jahre Haft verbüßen, bei Terroristen können es in bestimmten Fällen bis zu 40 Jahre sein. Der Mord von Sevilla löste in der Bevölkerung vor allem deshalb eine beispiellose Welle der Empörung aus, weil der Hauptverdächtige Miguel die Ermittler mit immer neuen Versionen an der Nase herumführte.

Dies trug dazu bei, dass die Leiche des Mädchens nie gefunden wurde. Nach seiner Festnahme im Februar 2009 sagte der damals 20-Jährige aus, er habe seine Ex-Freundin im Streit mit einem Aschenbecher erschlagen. Freunde hätten ihm dabei geholfen, die Leiche von einer Brücke in den Guadalquivir zu werfen.

Die Polizei leitete eine der größten Suchaktionen in der spanischen Kriminalgeschichte ein. Hunderte von Polizisten suchten einen Monat lang mit Hubschraubern, Schiffen und Unterwassergeräten den Flusslauf ab. Die Ermittler warfen sogar drei tote Schweine ins Wasser, um zu sehen, wohin Martas Leiche getrieben sein könnte. Aber vergebens. Dann nahm der Fall plötzlich eine Wende. Miguel sagte nun aus, er und „El Cuco“ hätten das Mädchen vergewaltigt, nachdem Marta ihrem Ex-Freund einen Kuss verweigert habe.

Anschließend hätten sie ihr Opfer zusammengeschlagen, der 15-Jährige habe es mit einem Kabel erdrosselt, und anschließend hätten sie die Leiche in einen Müllcontainer geworfen. Darauf ordnete die Polizei eine neue Suchaktion an. Auf einer Müllkippe wurden 32 Tage lang 60 000 Tonnen Abfälle umgegraben, aber die Leiche kam nicht zum Vorschein. Weshalb gestand Miguel von sich aus die Vergewaltigung?

Man vermutet, dass er damit verhindern wollte, vor ein Geschworenengericht gestellt zu werden. Von Berufsrichtern dürfte er sich mehr Milde versprechen als von Geschworenen. Neben Miguel sind drei weitere Verdächtige angeklagt. Sie sollen geholfen haben, die Leiche verschwinden zu lassen.

Alle Angeklagten mit Ausnahme von Miguel bestreiten die Vorwürfe. Sie sollen in dieser Woche in dem abgetrennten Verfahren gegen den minderjährigen „El Cuco“ als Zeugen aussagen. Dies bringt das Gericht in eine heikle Lage: Als Zeugen sind sie einerseits verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, aber andererseits kann man von ihnen nicht verlangen, sich selbst zu belasten.