Mordfall Lena: Hilferufe verhallten ungehört
Berlin/Emden (dpa) - Obwohl die pädophile Neigung des mutmaßlichen Mörders von Lena bekannt war, hat niemand das spätere Verbrechen verhindert. Der Chefarzt der Psychiatrie, wo der junge Mann vor der Tat behandelt wurde, wies eine Mitverantwortung zurück.
Er sieht eine „Lücke im System“.
Gegen vier Polizeibeamte laufen interne Ermittlungen. Die Eltern des 18-Jährigen meldeten sich bereits 2010 bei Jugendamt und Polizei, ohne nachhaltigen Erfolg. Die Kinderhilfe prangert Defizite an, die Ermittler konzentrieren sich nun auf das Umfeld des mutmaßlichen Täters.
Der junge Mann hatte am vergangenen Wochenende zugegeben, die elfjährige Lena am 24. März getötet zu haben. Zur Todesursache macht die Polizei weiter keine Angaben „Das ist Täterwissen, deshalb äußern wir uns dazu nicht, auch nicht zu einer möglichen Tatwaffe“, sagte eine Polizeisprecherin. Das Nachrichtenmagazin „Focus“ berichtet, das Mädchen sei offenbar zuerst vergewaltigt und dann erwürgt worden. Der Täter habe erst auf Lena eingestochen, als sie bereits tot war.
Während seiner psychiatrischen Behandlung im vergangenen September und November soll sich der damals 17 Jahre alte Jugendliche unauffällig verhalten haben. „Es war kein Gewaltpotenzial zu erkennen. Sonst hätten wir ihn nicht entlassen“, sagte der leitende Mediziner der Aschendorfer Kinder- und Jugendpsychiatrie, Filip Caby, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir machen uns keine Vorwürfe.“ Die Therapie sei regulär beendet worden, sagte Caby. „Das Ziel war unter anderem, dass eine Selbstanzeige erfolgt.“
Am 23. November zeigte sich der junge Mann tatsächlich bei der Emder Polizei selbst als Pädophiler an. Damit wollte er offenbar einen Schlusspunkt setzen, doch dies gelang ihm offenbar nicht: Einen Tag später entkam dann eine erwachsene Joggerin knapp einer Vergewaltigung in den Emder Wallanlagen. Auch diese Tat wird dem 18-Jährigen zugeordnet.
In diesem Zusammenhang konzentrieren sich die Ermittler nun auf das Umfeld des Mannes. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft mitteilten, wollen die Beamten klären, ob der 18-Jährige für Straftaten infrage kommt, die den Ermittlern bislang noch nicht bekannt sind. Die Suche nach der Tatwaffe verlief indes weiterhin ergebnislos.
Warum ist es nicht zu einer empfohlenen, weiteren Therapie gekommen? Nach Angaben von Caby war sein Haus als Einrichtung für Kinder und Jugendliche nicht mehr zuständig: Der Patient aus Emden sei inzwischen 18 Jahre alt gewesen - und für die Betreuung von volljährigen Menschen gebe es eine „Lücke im System“.
Massive Kritik kam vom Verein Deutsche Kinderhilfe: Es seien nicht nur Ermittlungspannen, sondern auch erhebliche Defizite des Jugendhilfesystems zutage getreten. Wenn sich Caby für unzuständig erklärt habe, weil der Täter volljährig geworden sei, wäre weiterhin das Jugendamt zuständig gewesen. „Die Frage ist, ob eine entsprechende Meldung von der Psychiatrie an das Jugendamt ging, und ob das Jugendamt mit der Polizei Kontakt aufgenommen hat“, sagte Vorstandssprecher Rolf Stöckel nach Verbandsangaben.
Fragen muss sich nun auch der Landkreis Aurich stellen, in dem der junge Mann vor seinem Umzug nach Emden gewohnt hatte. Offen ist, ob das Kreisjugendamt ihn betreut hatte. Seine Mutter hatte ihn dort laut Medienberichten gemeldet, weil er 2010 die siebenjährige Freundin seiner Schwester entblößt und nackt fotografiert hatte. Auch die Polizeiinspektion Aurich war seit September im Bilde, nachdem der Stiefvater den 18-Jährigen dort wegen Kinderpornos auf seinem Computer angezeigt hatte.
Jetzt untersuchen interne Ermittler der Polizeidirektion Osnabrück, wie es zu der Pannenserie im Vorfeld des Verbrechens kommen konnte. Gegen vier Beamte wird disziplinarrechtlich ermittelt, gegen zwei von ihnen auch strafrechtlich. Der Verdacht: Strafvereitelung im Amt.