Nach Geiselnahme: Ruf nach schärferen Gesetzen

München/Ingolstadt (dpa) - Die Geiselnahme in Ingolstadt hat eine Debatte über eine Verschärfung der Gesetze ausgelöst.

„Der aktuelle Stalking-Tatbestand greift erst, wenn das Opfer durch die Tat schwerwiegend in seiner Lebensgestaltung beeinträchtigt worden ist“, sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU). „Das müssen wir ändern.“ Es gibt aber auch eine Reihe Stimmen, die gesetzlichen Änderungen keine Lösung sehen.

„Schärfere Gesetze, wie von verschiedenen Politikern gefordert, werden auch in Zukunft verwirrte Personen nicht von solchen Taten abhalten“, sagte der Vorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter in Bayern, Hans Wengenmeir. Auch der forensisch-psychiatrische Gutachter Henning Saß aus Aachen sieht keinen Grund für Gesetzesänderungen. „Ich glaube nicht, dass schärfere Gesetze erforderlich sind.“ Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien in Ordnung. „Man muss die Gesetze nur konsequent anwenden.“

Ein 24 Jahre alter Mann hatte am Montag fast neun Stunden lang drei Geiseln in seiner Gewalt. Unter ihnen war eine Rathausmitarbeiterin, der er seit Monaten nachgestellt hatte. Er hatte Hausverbot im Rathaus - mit der Geiselnahme verlangte er die Rücknahme des Hausverbots.

Gegen den Mann wurde am Dienstag Haftbefehl erlassen. Der Richter sei dazu in das Krankenhaus gekommen, in dem der wegen Stalkings vorbestrafte Mann wegen seiner Schussverletzungen behandelt wurde, teilte die Polizei mit. Er werde baldmöglichst in ein Gefängnis verlegt. Unklar war am Dienstagabend, ob der Mann schon vernommen wurde.

Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasste 2012 rund 24 600 Stalking-Fälle. Die Deutsche Stalking-Opferhilfe geht jedoch jährlich schätzungsweise von 600 000 und 800 000 Fällen aus. Die Vorsitzende Erika Schindecker kritisierte in der „Süddeutschen Zeitung“, der Stalking-Paragraf greife nicht richtig. „Die Hürden sind zu hoch. Erst muss etwas ganz Schlimmes passieren, bis ermittelt wird.“

Merk erläuterte dazu, das Opfer müsse erst etwa seine Wohnung aufgeben oder sein berufliches Umfeld wechseln. Seelische Belastung allein genüge bisher nicht. Deshalb müsse das Gesetz geändert werden. „Es muss reichen, dass die Attacken eines Stalkers geeignet sind, die Lebensführung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen.“

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte im Bayerischen Rundfunk, es sei zwar richtig, beim Thema Stalking über schärfere Strafen nachzudenken. Entscheidend sei aber, dass die Gerichte zu einer richtigen Einschätzung des Täters kämen: „Wenn die Gefahr eines solchen Täters nicht richtig erkannt wird, dann nützt der entsprechende höhere Strafrahmen als solches auch noch nichts.“

Polizei-Gewerkschafter und der Bayerische Städtetag sprachen sich trotz der Tat gegen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in Rathäusern aus. Die Geiselnahme in Ingolstadt sei ein Einzelfall gewesen. Rathäuser sollten weiterhin offene Gebäude sein, die von jedem Bürger ohne Leibesvisitation betreten werden können.

Auch Herrmann warnte im BR vor überzogenen Reaktionen. „Eine Ganzkörperkontrolle jedes Besuchers eines Rathauses, wie wir es an einem Flughafen kennen, das würde letztendlich zu einer derartigen Distanz zur Bevölkerung führen“, sagte Herrmann. „Das würde den Gedanken einer bürgernahen Verwaltung - glaube ich - kaputt machen.“

Als „schwieriges Spannungsfeld“ betrachtet der Bayerische Städtetag die Situation: „Einerseits muss es natürlich Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter in den Rathäusern geben“, sagte Städtetags-Sprecher Achim Sing. „Andererseits dürfen die Rathäuser nicht zu abgeschotteten Bastionen werden.“