Narren sind weiter als die Schützen
Unesco will mehr Toleranz im Brauchtum. Im Karneval sind Muslime und Homosexuelle eher willkommen.
Düsseldorf. Der Rheinische Karneval, der Rattenfänger von Hameln und sächsische Knabenchöre — lebendige Traditionen, die über Generationen weitervermittelt werden. All diese hat die Unesco in ihr Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen (siehe Kasten). Bräuche gelten nach Ansicht der Organisation als Ausdruck von Kreativität und Erfindergeist und vermitteln Identität und Kontinuität.
Auch das deutsche Schützenwesen könnte also Chancen auf einen Platz auf der Liste haben. Die Europäische Gemeinschaft historischer Schützen (EGS) hatte deshalb einen entsprechenden Antrag eingereicht. Diesen hat die deutsche Unesco-Kommission nun allerdings wegen einer fehlenden religiösen Toleranz zurückgestellt. Die Experten verstehen nicht, warum der christliche Gründungszweck durch eine Öffnung gefährdet sein könnte.
In dem Brief der Kommission heißt es, dass wegen der „Reaktionen auf nicht ‘biodeutschen’ Maßstäben“ entsprechende Schützenkönige eine „zivilgesellschaftlich zugängliche Traditionspflege zu diesem Zeitpunkt nicht bestätigt werden kann.“ Die EGS soll das Dossier nun überarbeiten.
Der türkischstämmige Mithat Gedik hatte im Juli 2014 im westfälischen Werl den Vogel abgeschossen und wurde Schützenkönig. Der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) protestierte dagegen heftig. Weil die Vereinssatzung eine Mitgliedschaft auf Christen beschränke, wollte der katholisch orientierte Dachverband dem Moslem den Titel entziehen. Am Ende lenkte der BHDS ein. Gedik durfte König bleiben, aber nicht zum Bezirksschützenfest.
Nicht nur gegen muslimische, auch gegen homosexuelle Schützenkönige hat der Dachverband seine Vorbehalte. Im August 2011 wollte der Münsteraner Dirk Winter seinen Lebensgefährten zur „Königin“ machen. Der BHDS erlaubte dem Paar beim Landesbezirks-Königsschießen und Bundeskönigsschießen aufzumarschieren — aber nicht nebeneinander. Der Lebensgefährte lief dann hinter dem Schützenkönig.
2012 beschloss der BHDS ein Verbot von schwulen Königspaaren an der Spitze der Umzüge. Gleichgeschlechtliche Lebenspartner gehören seitdem in die zweite Reihe. Einschüchtern lassen sich die Könige davon nicht: Winter machte seinem Partner beim Schützenfest einen Antrag.
Bei der Unesco macht sich das Schützenwesen auf diese Art nicht gerade beliebt. BHDS-Sprecher Rolf Nieborg lässt das kalt. Im vergangenen Jahr wurden die rheinischen Brauchtumsschützen von der Unesco als NRW-Kulturerbe ausgezeichnet — „das ist uns Bestätigung genug.“
Überzeugt hat die Unesco hingegen der Rheinische Karneval. Kritik an muslimischen und schwulen Tollitäten kommt meist von außerhalb. 2010 erhielt der Bonner Karnevalsprinz Amir Shafaghi in einem traditionellen Mundartgottesdienst ein Redeverbot. Das Stadtdekanat war der Ansicht, dass der Moslem zwar anwesend sein, aber nicht sprechen durfte. Die Bonner Jecken stellten sich geschlossen hinter ihren Prinzen.
Auch Homosexualität ist im Karneval kein Problem mehr. 2009 regierte Lothar Hörning als erster schwuler Prinz das Düsseldorfer Narrenvolk. Köln hatte unter anderem 2012 mit Marcus Gottschalk einen schwulen Prinzen, zwei Jahre später trat der homosexuelle Jens Hermes als Jungfrau Hermia auf.