Neu zu entdecken: Nachlass der Fotografin Lore Krüger
Berlin (dpa) - Lore Krüger? Kein Lexikon, keine Datenbank gab Auskunft, dass die deutsch-jüdische Widerstandskämpferin auch eine begnadete Fotografin war. Vor zwei Jahren tauchte überraschend ein Koffer auf, in dem sie ihre Arbeiten aus der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte über Jahrzehnte aufbewahrt hatte.
„Ein solches künstlerisches Oeuvre auf den Tisch zu bekommen, ist ein unglaublicher Glücksfall“, sagt der Chefkurator der Berliner C/O-Galerie, Felix Hoffmann im dpa-Gespräch. „In ihrem Schicksal verbindet sich bewegend eine jüdische mit einer ungewöhnlichen künstlerischen Biografie.“
Vom 24. Januar bis zum 10. April zeigt die international renommierte Fotogalerie in ihrem neuen Domizil im Amerika Haus am Bahnhof Zoo erstmals das Werk der 2009 verstorbenen Fotografin. Unter dem Titel „Lore Krüger. Ein Koffer voller Bilder“ sind rund hundert Arbeiten aus den Jahren 1934 bis 1944 zu sehen.
Die junge Frau hatte da schon eine Odyssee von Flucht und Vertreibung hinter sich. 1914 als Kind bürgerlicher jüdischer Eltern in Magdeburg geboren, war sie nach der Machtübernahme der Nazis als Au-Pair-Mädchen nach London gegangen. Über Umwege verschlug es sie nach Paris, wo sie Freundin und Schülerin der bekannten Bauhaus-Absolventin Florence Henri wurde.
Nach der Besetzung Frankreichs durch die Nazis kommt sie ins Internierungslager Gurs am Rande der Pyrenäen und kann erst nach Monaten fliehen. Zusammen mit ihrem späteren Mann erreicht sie eines der letzten Flüchtlingsschiffe und landet trotz der Kaperung durch ein U-Boot schließlich in New York.
Kurz zuvor hatte sie ein jetzt auch bei den Recherchen gefundener Brief der Eltern an sie und ihre Schwester erreicht. „Wenn Ihr diese Zeilen erhaltet, sind wir nicht mehr am Leben“, heißt es da. Vater und Mutter, 1933 vor den Nationalsozialisten nach Mallorca geflüchtet, hatten sich 1940 das Leben genommen - ihnen drohte die Ausweisung von der Sonneninsel zurück nach Deutschland.
Nach dem Krieg kehrt Lore Krüger nach Deutschland zurück, bewusst in die damalige sowjetische Zone. „Sie wollte als Antifaschistin dafür arbeiten, dass wieder ein friedliches Deutschland entsteht“, sagt ihr Sohn Ernst-Peter Krüger (68).
Nach der Schwächung durch eine Diphtherie-Erkrankung rührt sie hier die Kamera nicht mehr an, bewahrt aber im Stillen ihren Schatz. „Wir wussten, dass die Fotos ihr sehr viel bedeuten“, erzählt der Sohn. „Aber unsere Eltern haben über die Vergangenheit nicht viel gesprochen, vielleicht weil sie sie verdrängen wollten.“
Dass der Nachlass jetzt dennoch ans Licht kam, ist zwei jungen Frauen zu verdanken. Lore Krüger hatte ihnen bei ihrer politischen Aufklärungsarbeit in Schulen und Jugendgruppen auch von der Fotoarbeit erzählt. Die beiden suchten den Kontakt zu dem in Berlin lebenden Sohn und fanden schließlich gemeinsam zur C/O-Galerie.
„Uns ist erst nach und nach klar geworden, um was für eine spektakuläre Biografie es geht“, sagt Kurator Hoffmann, der den Koffer mit zunehmender Spannung sichtete. „Lore Krüger hat schon als blutjunges Mädchen sehr eigenständig als Fotografin gearbeitet, als das für Frauen keineswegs selbstverständlich war.“ Zudem habe sie sich, etwa mit einer stillenden Mutter oder einem behinderten Kind, an damals unbekannte Motive gewagt.
Faszinierend ist in der Ausstellung die kreative Bandbreite: Da sind die abstrakten Kompositionen aus der Dunkelkammer, die dem Kurator zufolge von der Bauhaus-Fotografie und der Schule des Neuen Sehens inspiriert sind. Aber da sind auch die einfühlsamen Porträts und die dichten, atmosphärisch aufgeladenen Szenen vom Alltagsleben der Menschen auf der Straße - wie etwa die Serie „Gitanes“ über Sinti und Roma.
Größtes Ziel sei jetzt, nach der Ausstellung ein Museum zu finden, das den Nachlass übernimmt, sagt der Sohn. „Wir wollen nicht, dass das Werk auseinandergerissen wird. Dafür war es unserer Mutter zu wichtig.“