Nie mehr schreien: Lehrer am Mikrofon
Lehrer müssen in Deutschland häufig ihre Stimme strapazieren. Jetzt greifen Pauker zum Headset — und die Kinder sind still.
Steinfurt. Viele Lehrer in Deutschland müssen sich jeden Morgen im Klassenzimmer die Seele aus dem Leib brüllen. Die Schuld dafür ist nicht unbedingt bei ungezogenen Kindern zu suchen. „Die Leute, die Schulen planen, haben die Akustik nicht auf dem Schirm“, sagt Akustik-Professor Jürgen Tchorz von der Fachhochschule Lübeck.
Tchorz und einer seiner Studenten begleiten in NRW ein Pilotprojekt: In 60 Klassen lehren Pauker mit Mikrofon. Eine schallschluckende Decke fehle oft in den veralteten Unterrichtsräumen, der Lärm werde zurückgeworfen, sagt Tchorz. „Dadurch ist es in der Klasse lauter, als es ohnehin schon ist.“ Diesen Pegel muss der Lehrer noch übertönen.
Ingrid Wernsing ist Grundschullehrerin. „Am Berghang schmilzt der letzte Schnee“, klingt ihre Stimme aus einer silbernen Lautsprecher-Säule in den Raum. Es ist Deutschunterricht an der Graf-Ludwig-Schule in Steinfurt. Wernsing spricht in ein Mikro, das vor ihrem Mund am Kopfhörerbügel hängt. 23 Drittklässler spitzen ihre Ohren. „Das Bächlein rauscht zu Tal.“ Die neunjährigen Kinder lauschen alle still dem Droste-Hülshoff-Gedicht.
Solche Bilder von Menschen mit Mikrofon vor dem Mund kennt man sonst aus Rockkonzerten oder Managerseminaren. Die Kinder finden das toll, sagt die Lehrerin. Früher habe er öfter einmal nachfragen müssen, wenn er hinten saß, erzählt Cedric (9). „Jetzt ist es viel besser.“ Klassenkameradin Hannah grinst: „Manchmal vergisst sie, es auszumachen. Dann hören wir alles aus dem Lehrerzimmer.“
Lehrerin Wernsing ist von der Headset-Technik angetan. Ihr einziger Kummer: „Man muss das irgendwann wieder abgeben.“ Denn die Tage des Probelaufs sind gezählt. In den Sommerferien sollen die Anlagen in allen acht Klassenräumen der Schule abgebaut werden. Jeweils wären rund 3000 Euro dafür aufzubringen. Die Rektorin hofft nun auf Gespräche mit Sponsoren, um wenigstens eine Anlage zu leasen.