Noch Monate Angst um Unglücks-AKW Fukushima
Tokio (dpa) - Das Bangen um Fukushima geht weiter: Mindestens zwei bis drei Monate können die Brennstäbe in der Atomruine auch unter günstigen Umständen noch außer Kontrolle geraten.
Zu dieser Prognose kommt die Atomic Energy Society of Japan, eine Gruppe von Nuklear-Wissenschaftlern, in einer am Freitag in Tokio vorgestellten Untersuchung.
Unterdessen hat der Kraftwerkbetreiber Tepco den Opfern der Katastrophe ein Angebot gemacht: In einem ersten Schritt soll jeder Haushalt aus dem Umkreis von 30 Kilometern um das Kraftwerk umgerechnet bis zu 8000 Euro (eine Million Yen) bekommen. Ein-Personen-Haushalte bekämen 750 000 Yen (rund 6200 Euro), kündigte Tepco-Chef Masataka Shimizu laut Nachrichtenagentur Kyodo an. Das Geld werde schnell überwiesen, versprach er.
Innerhalb der 30-Kilometer-Sicherheitszone gab es etwa 48 000 Haushalte. Die überlebenden Menschen waren wegen des AKW-Unfalls aufgefordert worden, sich in Sicherheit zu bringen oder in den Häusern zu bleiben. Auch über die bestehende 20-Kilometer-Evakuierungszone hinaus waren einige Dörfer geräumt worden. Lebensversicherer beziffern ihre Zahlungen infolge der Naturkatastrophe auf 200 Milliarden Yen (rund 1,65 Mrd Euro).
Aus den Fukushima-Meilern selbst gab es auch zu Beginn der sechsten Katastrophenwoche nur wenige gute Neuigkeiten: So haben sich in der Atomruine nach Einschätzung von Experten nur kleine Mengen geschmolzenen Brennstoffs am Boden der Druckkessel angesammelt.
Demnach hat das radioaktive Material in den Reaktoren 1 bis 3 die Form kleiner Körner angenommen, von mehreren Millimetern bis zu einem Zentimeter groß. Der Effekt sei vergleichbar mit dem bei gekochtem Getreide, welches in kaltem Wasser abgeschreckt werde. Aus Sicht der Experten berge die flach am Boden liegende Menge aber keine akute Gefahr für das Reaktorgehäuse. Eine unkontrollierbare Kettenreaktion sei so gut wie ausgeschlossen.
Mehr Sorgen machten den Arbeitern zuletzt das immer stärker verstrahlte Grundwasser rund um die Atommeiler sowie in Bodenproben nachgewiesene Plutoniumspuren. Infolge der Atomkatastrophe wurde zum dritten Mal das hochgiftige Schwermetall aus Reaktor 3 gefunden. Die Konzentrationen von radioaktivem Jod und Cäsium im Grundwasser haben in einer Woche mehrere dutzendmal zugenommen, teilte Tepco mit. Aussagen über Gefahren für die Gesundheit sind mit diesen Angaben jedoch nicht möglich.
An den Reaktoren selbst versuchen Tepco-Arbeiter weiter, durch Stickstoffzugaben erneute Wasserstoffexplosionen in Reaktor 1 zu verhindern. Nach Angaben der Atomaufsichtsbehörde soll in Kürze auch in die beiden anderen havarierten Reaktoren Stickstoff eingefüllt werden. Zudem installierten die Arbeiter am Freitag weitere Stahlplatten nahe der Meerwasserzufuhr des Reaktors 2, wie Kyodo meldete. Tepco wolle zudem Sandsäcke mit dem Mineral Zeolith, das radioaktives Material absorbiert, nahe der Anlage ins Meer werfen, um die radioaktive Verseuchung des Meeres zu verringern.
Um die für den Sommer drohende Stromknappheit zu verhindern, will Tepco neue Gasturbinen an zwei Wärmekraftwerken in Betrieb nehmen. Diese könnten ab Juli oder August rund fünf Millionen Kilowatt mehr Strom liefern, hieß es. Regierungssprecher Yukio Edano begrüßte die Ankündigung, betonte jedoch, dass auf diese Weise die bestehende Versorgunglücke von 15 Millionen Kilowatt nicht kompensiert werden könne. Daher seien die Japaner weiterhin aufgerufen, sparsam mit der Energie umzugehen.
Tepco-Chef Shimizu will am Montag erstmals im Parlament über die Rettungsmaßnahmen zu berichten. Außerdem will der japanische Außenminister Chiaki Takahashi am Dienstag zu einem internationalen Gipfel zur nuklearen Sicherheit in die Ukraine reisen. Japan erwartet dort laut Kyodo Gespräche über die Fukushima-Krise und die Verschärfung der internationalen Normen für nukleare Sicherheit.
Noch immer ist unklar, ob das Land eine Sondersteuer zur Finanzierung der von Tsunami und Erdbeben zerstörten Gebiete einführen will. „Die Regierung würde sich die endgültige Entscheidung vorbehalten“, sagte Edano. Eine von der Regierung einberufene Expertenrunde hatte die Einführung der Steuer empfohlen.
In Brüssel forderte die EU-Kommission Kontrollen von Schiffen aus Japan. Sollte ein Frachter etwa durch verstrahltes Regen- oder Meerwasser kontaminiert sein, müsste er gewaschen werden. „Da die Radioaktivität auf der Oberfläche von Containern oder Schiffen sitzt, ist das Waschen eine angemessene Maßnahme“, teilte die Behörde mit.