Oranje wird zur Trauerfarbe

Nach dem Ausscheiden des „Vorrunden-Europameisters“ herrscht bei den Nachbarn in den Niederlanden Grabesstille.

Venlo/Roermond. Unser Nachbarland trägt Trauer: Bei der Europameisterschaft sind die siegessicheren Niederländer seit der Niederlage gegen Russland nur noch Zaungäste.

Diesseits der Grenze herrscht angesichts der tollen Vorrundenspiele ein wenig Mitleid mit den ausgeschiedenen Überfliegern, gemischt mit ein klein bisschen Schadenfreude - oder wie der gemeine Fan es ausdrückt: "Ohne Holland spielen wir EM!"

Überall in den Niederlanden geschmückte Häuser und Straßenzüge, überall Orange und Rot-Weiß-Blau: In der Grenzstadt Venlo herrschte schon früh am Samstagabend sogar Karnevalsstimmung.

Auch die Fans in Tegelen, Belfeld, Reuver, Beesel, Swalmen, Roermond und in den anderen Grenzorten waren kostümiert. "Op naar de Finale!" (Auf ins Endspiel) oder "Niet de stuiten!” (Nicht zu schlagen) sangen die begeisterten Oranjes.

Doch schon während des Spiels gegen Russland kippte die Stimmung bei den Anhängern des "Vorrunden-Europameisters".

Bei sommerlichen Temperaturen knubbelten sich die Fußball-Fans auf den Terrassen in Venlos Fanmeile, dem Kneipenviertel "Parade" und auf dem Markt, und in Roermond auf dem "Stationsplein". Nach Führung der Russen wurde es ruhiger.

Beim 1:2 kam noch einmal Stimmung auf, doch der Optimismus war dahin - und schon vor dem Abpfiff herrschte Katerstimmung. Die Euphorie der Vortage war dahin, stattdessen ein Bild des Jammers.

"We liggen uit" (Wir sind draußen) gestanden sich die frustrierten, überwiegend fairen Fans ein. "Het is over en uit" (Es ist aus und vorbei) war immer wieder zu hören.

"Die Russen waren besser", bekannten selbst die eingefleischten Oranje-Fans, die in der Verlängerung angesichts der Leistungen ihrer Lieblinge alle ernüchtert waren.

Schon vor Mitternacht gingen die meisten still nach Hause. Fast überall im Land habe "Grabesstille" geherrscht, berichten die Agenturen.

Die Polizei im Grenzland meldete jedenfalls keine besonderen Vorkommnisse. Es gab lediglich zwei Festnahmen. Ein 28-Jähriger hatte in Venlo kurz nach Mitternacht seinen Frust an einigen Fahrrädern und einer Bronzeskulptur ausgelassen.

Der Randalierer wurde zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam genommen. In Roermond wurde ein 27-Jähriger festgenommen, der am Bahnhofsplatz randaliert und Passanten belästigt hatte.

Mit etwas weniger Fassung als die Daheimgebliebenen hatten dagegen einige niederländische Fans in Basel auf das Debakel reagiert. Nach Angaben der Polizei wurden 30 von ihnen festgenommen.

Geprügelt wurde quasi international: Holländer untereinander, Holländer und Schweizer, Holländer und Russen mit Schweizern, berichtete ein Sprecher.

Die Polizei habe ständig überall Präsenz zeigen müssen. "Wir haben alles gebraucht, was vorhanden war."

Höchste Unvernunft bewiesen Hunderte von Holländern, die von den Rheinbrücken sprangen. Die Wasserrettung fischte die Schwimmuntüchtigsten aus dem Fluss.

Insgesamt zogen die Schweizer Behörden - allein rund 120 000 Niederländer wurden in Basel gezählt - eine positive Bilanz. Zum allergrößten Teil sei alles in sehr geordneten, friedlichen Bahnen abgelaufen. Basel hatte den niederländischen Fans einen eigenen "Oranje-Boulevard" auf der Mittleren Brücke mit einem orange-farbenen Torbogen gewidmet.

Und auf dem Weg zum Stadion wurden zudem mehrere provisorische Lichtsignal-Ampeln mit verlängerter Orange-Phase aufgestellt. Nach dem Spiel nahm kein Holländer mehr Notiz davon.