Pendler in der Streik-Falle
Essen/ Düsseldorf. Ding dong. "Essen Hauptbahnhof", tönt es aus den Lautsprecherboxen der Straßenbahn. "So weit, so gut", seuftzt eine Frau im langen beigen Mantel.
Im Radio hat sie gehört, dass in Köln und Dortmund schon mal nichts mehr geht. Aber wie sieht es in Essen aus? "Da bin ich jetzt mal gespannt", sagt sie, nimmt ihre kleine Tochter an die Hand und hetzt in Richtung der Bahngleise.
Der Warnstreik der Eisenbahner legt auch den Berufsverkehr in NRW lahm. Viele sind sauer, manche nehmen es mit Humor: "Wir kommen hier eh nicht weg", sagt eine junge Frau ganz in schwarz und prostet ihrem Freund mit Kaffee zu.
Der Hauptbahnhof ist relativ leer, nur vor der Anzeigetafel knubbeln sich ein paar Ratsuchende An oberster Stelle angeschlagen ist ein ICE nach Köln. Der sollte um 7.15 Uhr fahren. Ein Schriftzug in blauen Lettern auf weißem Grund fährt über die Anzeige: "Verspätung etwa 120 Minuten". Pünktlich geht gar nichts. "70 Minuten, 40 Minuten!", bölkt ein Jugendlicher mit Wollmütze und Baggy-Pants seinem Kumpel zu. "Wie lange soll das denn noch dauern?"
Zurückgebliebene sitzen mit gelangweilten Gesichtern auf Reisetaschen und in Cafés, bemitleiden sich gegenseitig und benutzen ab und an die Mitarbeiter als Prellbock für ihre Verwünschungen. Die fröstelnden Reisenden sitzen auf Bänken, blättern in Zeitschriften, langweilen sich und schauen vor allem genervt aus der Wäsche.
Ob Slips und Kragen oder abgewetzte Turnschuhe und zerrissene Jeans, die Zurückgebliebenen haben etwas gemeinsam: "Abwarten und Teetrinken", sagt eine erstaunlich gut gelaunte Frau mit langen blonden Haaren und nippt an ihrem dampfenden Becher.
"Ich muss schnell zur Arbeit nach Dortmund, aber aufregen bringt auch nichts." Wie gerufen rattert die S1 heran. Es zischt und quietscht, die Türen klappen auf. Nur zehn Minuten Verspätung. "Glück gehabt", sagt die Blondine und steigt ein. Jedenfalls hat sie Verständnis für die Streikenden.
Für den Regionalexpress nach Düsseldorf um 8.32 Uhr gibt die Anzeigentafel eine Verspätung von 40 Minuten an. Eine Mitarbeiterin der Bahnhofsmission ermutigt ein älteres Ehepaar: "Nach Düsseldorf? Von Gleis zwei. Jetzt ist es Zehn nach neun. Das müsste passen." - Fehlanzeige.
Gleis zwei ist bis auf ein paar Anzugträger leer, die elektronische Anzeige über dem Gleis funktioniert nicht und Bahnmitarbeiter sind nicht in Sicht. Stattdessen poltert eine Stimme aus der Lautsprecheranlage, kündigt einen ICE an und bittet um Entschuldigung für die Verspätung - vergeblich. "Pah!", raunt ein älterer Herr. "Entschuldigung?" Aber was ist mit dem Regionalexpress nach Düsseldorf? Der kommt nicht.
Eingemummelt in mehrere Jacken tigert ein junger Mann mit Dreitagebart schon zum dritten Mal den Gang an den Gleisen entlang. Er hofft, entweder den Regionalexpress auf Gleis zwei oder die S-Bahn auf Gleis sieben zu erwischen. "Ich bin in Duisburg verabredet." "Ich habe mir das schon gedacht und mich gleich mal dicker angezogen."
Heiß begehrt sind die Damen und Herren in blauer Uniform mit roter Mütze. "Da unten stehense! Gisela!", ruft der ältere Herr, der auf dem Weg nach Düsseldorf auf Gleis zwei geschickt wurde, packt seine Frau am Arm, fegt vorbei und quetscht sich durch die Menschentraube zum Schaffner. Der empfiehlt dem Ehepaar die S6 auf Gleis zwölf.
Zwanzig Minuten Verspätung aber immerhin, die Fahrt läuft glatt. Um 11.35 Uhr in Düsseldorf angekommen ist das Schlimmste überstanden, die Verspätungen nur noch bei fünf bis zehn Minuten und der Bahnhof wie immer überfüllt.