Duisburg Perspektive für Problemhäuser in Marxloh
Die „Task Force“ der Stadt Duisburg hat zehn von 85 Häusern geräumt. Sie will das Geschäftsmodell raffgieriger Besitzer bekämpfen.
Duisburg. Auf der einen Straßenseite wirbt ein Papierzettel in einem von mehreren leeren Schaufenstern für 60 Quadratmeter Laden zu 450 Euro plus Nebenkosten. Auf der anderen Seite der Henriettenstraße ist mit Vermietung erst mal Essig. Vor dem ursprünglichen Eingang des Wohnhauses ist mit groben Schrauben eine Stahltür in der fleckigen hellgrauen Fassade befestigt. Sie ist mit einem amtlichen Siegel aus dieser Woche versehen. Niemand darf mehr hinein in das Haus Nummer 13. Es war eines der Problemhäuser im Duisburger Stadtteil Marxloh. Derzeit geht die „Task Force“ der Ruhrgebietsstadt unter Hochdruck gegen diese Schmuddelimmobilien vor, in denen vor allem Familien aus Südosteuropa, meist Roma, eher hausen als wohnen — ein perfides Geschäftsmodell. Zehn von 85 Häusern sind bereits geschlossen worden.
In diesem Viertel ist das Wirken der Behörden unübersehbar — zwei Nachbarhäuser der Henriettenstraße 13 sind ebenfalls verbarrikadiert, um die Ecke an der Hagedornstraße wurde eine komplette Häuserzeile dicht gemacht. Ein Viertel, das offenkundig mal schön war. Oder zumindest schöner. Doch jetzt blättert die einst bunte Farbe von den Fassaden, bröckeln die Klinkersteine. Grau und braun in all ihren hässlicheren Schattierungen dominieren das Bild. Es ist ein regnerischer, trister Januartag, an dem — so sei fairnesshalber angemerkt — selbst die Villen des Wuppertaler Briller Viertels Mühe hätten, etwas herzumachen. Aber dieses Viertel hier wirkt geradezu elend. Nur 35 Fahrminuten von der schicken Düsseldorfer Kö entfernt — zynischerweise besteht der erste Eindruck an der A59-Abfahrt Duisburg-Marxloh aus zwei Hinweisschildern: links zur Arbeitsagentur, rechts zum Jobcenter — leben Menschen ohne Strom und fließendes Wasser.
Die Glastür zu einem der grau-braunen Häuser an der Hagedornstraße steht offen. Das Licht funktioniert nicht — natürlich nicht. Über dem Treppenaufgang hängen Fetzen der abgelösten Tapete herab, überzogen mit schwarzen Schimmelflecken. Der Blick durchs Fenster fällt in einen kargen Hof. Eine große Wolldecke hängt ausgebreitet auf einer Wäscheleine im Regen, dahinter lehnt eine rote Autotür am löchrigen Gartenzaun. Gras gibt es nicht. Einen Hinterhof weiter stehen zahlreiche Einkaufswagen neben einem Berg Gerümpel. Die Balkone der Häuser ringsum sind zum Teil mit Plastikplanen verkleidet. Hier wird jeder Quadratzentimeter zum Leben gebraucht. An einem der maroden Briefkästen im Treppenhaus kleben zehn handschriftliche Zettelchen mit unterschiedlichen Nachnamen.
„Es ist schon übel hier“, sagt die Briefträgerin des Quartiers. „Ich könnte nicht sagen, ob in einer Wohnung drei oder vier Familien wohnen. Aber mehrere sind es — das steht fest.“ Und manchmal auch nur Scheinadressen von Betrügern. Das zumindest vermutet sie, wenn sie an eine Adresse mit vielen Namensschildern etliche Briefe mit Scheckkarten von verschiedenen Banken liefert — und ein paar Tage später sind alle Schilder vom Briefkasten verschwunden. Seit einem Jahr ist sie hier Stammzustellerin, muss regelmäßig Beschimpfungen über sich ergehen lassen — wenn sie einen Brief nicht zustellen kann, weil der Name am Kasten fehlt, oder schlechte Nachricht vom Amt bringt. Vor sieben, acht Jahren hat sie schon einmal im Stadtteil gearbeitet. „Da war Marxloh noch schön. Ich finde es echt schlimm . . .“
An die besseren Zeiten erinnert sich auch Andrea Schlak noch, die im Seniorenheim an der Kaiser-Wilhelm-Straße arbeitet und in ihrer Mittagspause durch die Hagedornstraße läuft. Sie hat lange an der Rolfstraße — nur einen Block entfernt — gelebt. Und das gerne. „Ich bin wegen der ganzen Rumänen weggezogen“, sagt sie und schämt sich dafür nicht. Auf dem Platz vor ihrer Wohnung hätten sich die Großfamilien gesammelt, ihre Notdurft verrichtet. Ihr Enkelkind sei angespuckt und vom Fahrrad geschubst worden. Angst habe sie gehabt, ständig.
„Diese Straße war extrem!“, sagt sie. Überall sei Müll einfach aus den Fenstern auf die Straße und in die Höfe geworfen worden. Kabel waren von Fenster zu Fenster gespannt, um an Strom zu kommen — jetzt hängen sie schlaff an den Fassaden der leeren Häuser herab. „Man konnte sich kaum mehr bewegen vor Müll. Es war eine Katastrophe“, sagt Schlak. Sie zog weg nach Walsum. Trotzdem beobachtet sie, was in Marxloh passiert: „Es ist eine gute Entwicklung“, sagt sie. „Alles ist besser als das, was vorher war.“ Auch wenn die Probleme nicht verschwunden seien. Gerade erst, so schildert die Frau, wurde ein Bewohner des Altenheims, der im Rollstuhl sitzt, gleich vor der Tür beraubt. Sein Portemonnaie mit ein bisschen Tabak und einigen Euro, das um seinen Hals hing, nahmen Jugendliche ihm ab.
Das hat auch ein 84-jähriger Türke schon erlebt, der seit 60 Jahren in Marxloh lebt. Ein junger Mann habe ihn nach der Uhrzeit gefragt und dann nach seiner Geldbörse in der Brusttasche des Hemds gegriffen. Er konnte ihn abwehren. Der Senior erinnert sich gut an Tage, als hunderte Menschen auf der Hagedornstraße zu sehen waren. Und zu hören. Fenster und Türen seien kaputtgeschlagen worden. „Jetzt sind alle weg“, sagt er und schaut die leere, regennasse Straße hinunter. „Kein Mensch!“
Im Polizeipräsidium Duisburg gilt das als gute Nachricht. In der Kriminalstatistik liegen die ermittelten Tatverdächtigen aus Rumänien seit zwei Jahren vor den Türken, obwohl jene an der Duisburger Bevölkerung einen wesentlich größeren Anteil haben. Allerdings sagt Sprecher Ramon van der Maart mit Blick auf die Problemhäuser von Marxloh: „Das war nicht in erster Linie ein Sicherheitsproblem.“ Das Viertel mit seinem Müll und den Fällen von Ruhestörung habe den Beamten lediglich Arbeit bereitet, wenn nachts das Ordnungsamt nicht im Dienst war.
Für die Polizei war Marxloh und der gesamte Norden der Stadt eher ein heißes Pflaster wegen libanesischstämmiger Clans, die sich bei Einsätzen gern an den Sicherheitskräften rieben. 2015 schlug das Präsidium Alarm. Jetzt ist jeden Tag ein Zug der Bereitschaftspolizei zur Unterstützung vor Ort. Auch für das gesamte Jahr 2017, so das Signal aus dem Ministerium. „Die von uns angeforderten Personalstunden wurden bewilligt“, sagt van der Maart. Stehen die Zeichen günstig für die Zukunft Marxlohs?
Das glaubt zumindest Daniela Lesmeister, Duisburger Dezernentin für Recht und Sicherheit und seit Sommer Leiterin der „Task Force Problemimmobilien“. Seit Herbst, so erklärt sie das Konzept, nehmen sich Partner von Stadt über Feuerwehr, Jobcenter, Kindergeldkasse und Polizei bis zum Tüv vier Schmuddelhäuser im Monat vor, begehen sie — und stellen im Zweifelsfall sofort „Gefahr im Verzug“ fest; lassen räumen. Zehn von 85 Problemimmobilien sind seither dicht.
„Hinter diesen Häusern steckt ein Geschäftsmodell“, erklärt Lesmeister das Prinzip. Die Eigentümer seien zugleich Schein-Arbeitgeber für die Menschen, die sie in Bulgarien und Rumänien regelrecht anwerben und mit Bussen nach Deutschland karren. „Die wissen oft nicht mal, dass sie sich in Duisburg befinden.“ Sie würden mit Scheinarbeitsverträgen für Minijobs ausgestattet, könnten über die EU-Freizügigkeit so in Deutschland bleiben — und hätten Anrecht auf Kindergeld. Bei der Kontrolle in einem der Häuser, so die Dezernentin, habe man festgestellt, dass gleich zehn angemeldete Kinder gar nicht existierten.
Von diesem Schröpfen des Sozialstaats indes profitierten die Problemhausbesitzer — sie eröffneten Konten für ihre Bewohner und „Arbeitnehmer“ und zögen deren Kindergeld direkt ein. Für die Zuwanderer selbst bleibe wohl ein kleiner Obulus. Und ein Fleckchen in einem der elenden Gebäude. „Diese Häuser werden massiv überbelegt“, erklärt Lesmeister. In einem hätten sie und ihre Task-Force-Partner 124 Menschen angetroffen — für jeden habe es rein rechnerisch fünf Quadratmeter zum Leben gegeben. „Das ist weniger als einem Deutschen Schäferhund per Gesetz zusteht“, verdeutlicht sie ( je nach Größe nämlich acht bis zehn Quadratmeter). Hinzu komme fehlender Strom, fehlendes Wasser. Die Bewohner erleichterten sich überall. Ratten und Kakerlaken habe sie in den Räumen schon gesehen. „Es ist wirklich erbärmlich.“
Nach und nach sollen die verbleibenden 75 Problemhäuser in Marxloh und Hochfeld jetzt abgearbeitet werden. Sprich: geschlossen werden. „Das ist ein fortlaufender Prozess“, erklärt Lesmeister. Mehr als vier im Monat seien nicht zu leisten — auch weil die Räumung gerichtsfest dokumentiert werden müsse. Alle Eigentümer klagten dagegen und seien von hochkarätigen Anwälten beraten. Die erste Klage hat allerdings das Verwaltungsgericht Düsseldorf bereits abgeschmettert.
Das rigorose Vorgehen sei ein wichtiges Signal an die Geschäftemacher, glaubt Lesmeister: „Die Geldquelle für die Eigentümer wird sofort abgestellt. Ich habe den Eindruck, dass dieses Geschäftsmodell dadurch allmählich unattraktiv wird.“ Die Hoffnung ist, dass die Hintermänner ihr Gebaren so einstellen. Denn ihnen beizukommen, ist ansonsten schwierig: Sie verbergen sich hinter einer Kette aus Scheinfirmen; in einem Fall, so die Dezernentin, habe man es mit einem geistig behinderten Strohmann zu tun gehabt.
Inzwischen gebe es erste Signale von Eigentümern — oder denen, die für sie sprechen —, die zum Verkauf ihrer Schmuddelimmobilien bereit seien — und von privaten Investoren, die Geld in die Zukunft Marxlohs stecken wollen. Daniela Lesmeister hofft, dass die Perspektive eine ähnliche ist wie bei jenem Duisburger Problemhaus In den Peschen, das einst bewohnt von 1400 Menschen und 100 Schafen bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Das ist inzwischen aufwändig saniert worden.
Was indes mit den Familien geschieht, die in den Marxloher Schmuddelhäusern gewohnt haben, weiß auch sie nicht. Die Stadt bringe sie für einige Tage in Turnhallen unter. Doch dann verliert sich die Spur dieser Menschen, die im Kampf zwischen Profit und Ordnung in Duisburg-Marxloh das allerschwächste Glied sind. Die für Dreck und Unfrieden sorgen — die aber für das Grau-Braun des Stadtteils immerhin ihre Heimat verlassen haben.