Polizeipferde üben für ihren Dauereinsatz (mit Videos)

Neun Fußballspiele pro Woche begleitet die Reiterstaffel in der Spitze — Knochenjob statt Mädchentraum.

Foto: Juliane Kinast

Willich. Die Gruppe rennt mit wehenden Fahnen brüllend den Pferden entgegen, wirft Schaumstoffklötze nach ihnen, dann hallt ein Schuss über den Platz. Doch die Pferde galoppieren an und halten unbeirrt auf die lärmende Menge zu, bis die Menschen umdrehen und die Flucht ergreifen. Heute haben die Tiere nicht wirklich etwas von den „Hooligans“ zu befürchten, sie schwenken Flaggen der Polizeigewerkschaft — es sind Beamte der Einsatzhundertschaft, die ihren zwei- und vierbeinigen Kollegen auf dem Gehöft bei Willich im Training helfen.

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Die Arbeit bei der berittenen Polizei klingt wie der Traum jedes Pferdemädchens, tatsächlich aber stehen die Bewerber für den Job nicht gerade Schlange. „Wir arbeiten hauptsächlich an den Wochenenden — das schreckt schon ab. In Spitzenzeiten haben wir neun Fußballspiele in der Woche“, erklärt Polizeihauptkommissarin Melanie Lipp, Leiterin der Reiterstaffel. Demos und Großevents kämen noch hinzu, 102 Einsätze im ersten Halbjahr 2018 insgesamt. „Und ein durchschnittlicher Einsatz dauert für uns zehn bis zwölf Stunden.“

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Die Pferde, die einerseits Sympathieträger und andererseits respekteinflößend seien, hält NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der dem Training an diesem Mittwoch beiwohnt, für unverzichtbar: „Wir brauchen Reiterstaffeln“, sagt er und verspricht: „So lange ich im Amt bin, wird es sie geben.“ Keine Selbstverständlichkeit: Bis 2003 hatte es zehn Staffeln in NRW gegeben, die rot-grüne Regierung schaffte sie dann ab, nur damit Schwarz-Gelb sie wenige Jahre später wieder aufbaute. Jetzt will Reul sein Bekenntnis mit Investitionen untermauern und hat in Willich einen neuen silber-blauen Pferdeanhänger dabei — einen von acht, die in diesem Jahr angeschafft werden, um den Transport quer durchs Land für die Tiere zu erleichtern; acht weitere sollen 2019 folgen. 250 000 Euro zahlt die Landesregierung.

Foto: Juliane Kinast

An diesem Morgen bleiben die Pferde zu Hause, auf der denkmalgeschützten Hofanlage des alten Ritterguts Haus Broich. Goldgelbe Stoppelfelder erstrecken sich bis zum dunkelgrünen Waldrand, auf einer Koppel knabbern drei hüfthohe Ponys am Heu. Plötzlich zerschneidet ein grelles Martinshorn die Idylle. Aus der Reithalle braust ein Polizeibully, sechs Pferde mit ihren Reitern galoppieren hinterdrein. Die Reiter lenken sie über knisternde Planen, durch den dichten Qualm einer Rauchbombe und unter einem flatternden Plastikvorhang hindurch. Dann stellen sich die Reiter in einer Reihe auf, Hundertschaftspolizisten nähern sich mit großen Gymnastikbällen und fangen an, die Pferde von allen Seiten damit zu bewerfen. „Das Pferd ist ein Fluchttier, das vor unbekannten, furchteinflößenden Reizen flüchtet“, erklärt Melanie Lipp den Sinn der Übung. „Das darf es im Einsatz natürlich nicht.“

Foto: Juliane Kinast

Zwei Jahre lang wird ein neues Dienstpferd für den Einsatz trainiert. Im Gegensatz zur überwiegend weiblichen Reiterriege sind die Pferde allesamt Wallache — einen Hengst gibt es auch. Stuten seien „zu sensibel“, so Lipp. Eine Mindesthöhe von 1,68 Metern brauchen die Tiere, damit sie ihre Wirkung auf Randalierer auch nicht verfehlen. „Die Gewaltbereitschaft nimmt zu — aber vor den Pferden hat man noch Respekt“, erklärt Lipp. Bislang sei noch nicht ein einziges Pferd in NRW im Einsatz verletzt worden. Zur Sicherheit tragen sie Stirnplatten von den Ohren bis zu den Nüstern und Visiere, die Reiter sind gepanzert wie die Hundertschaftskräfte.

Denen kommen sie in der Übung zur Hilfe, als die „Hooligans“ einen Polizeiwagen eingekesselt haben und an ihm rütteln. Im gestreckten Galopp fliegen die Pferde heran, ihre Hufe donnern auf dem Asphalt. Die aggressive Meute will flüchten, doch die Pferde schließen mühelos auf, ziehen einen Ring um die Menschen und drängen sie zusammen wie beim Viehtrieb. Als die Hundertschaft zu Fuß herankommt, hebt eine Polizeireiterin den Arm, um den Kollegen anzuzeigen, wo sie durchgehen können. Ihr Pferd und das nächste bewegen sich leicht zur Seite und öffnen den Kreis für die Beamten, die jetzt Personalien aufnehmen könnten.

Für Polizeihauptkommissarin Nicole Benek und ihren Aramis ist die Großübung auf dem Willicher Hof schon kleines Einmaleins. 18 Jahre alt ist der große braune Wallach und eines der dienstältesten Pferde bei der Staffel. Im Frühjahr 2006 kam er zur Polizei — die zweijährige Ausbildung in aller Ruhe gab es für ihn nicht. „Dafür hatten wir keine Zeit“, erinnert sich Benek. Denn die Weltmeisterschaft stand an — zum Glück verlief sie ruhig. Für Aramis dennoch eine gute Feuertaufe. Heute spürt sie bei ihm jedesmal noch, wie die Spannung steigt, wenn sie in Einsatzmontur in den Stall kommt und das Pferd merkt: Es geht los. Ob Demo oder Fußball — für Aramis gibt es nicht mehr viel, das ihn schocken kann. „Nur die Vorwiese am Kölner Stadion, die mögen viele Pferde komischerweise nicht“, sagt Nicole Benek.

Was aus Aramis wird, wenn er in absehbarer Zeit in Rente geht — zwei Jungpferde sind derzeit schon wieder in der Ausbildung —, weiß Benek noch nicht. Für gewöhnlich würden sie in gute Hände abgeben, als Reitpferde eigneten sie sich nach den Jahren harter Polizeipraxis eher nicht mehr. Sie grinst: „Ich habe schon mein altes Dienstpferd zu Hause.“ Zehn Jahre tat sie Dienst auf Eddy, jetzt bekommt er bei ihr das Gnadenbrot. Vielleicht darf auch Aramis auf einen so schönen Ruhestand hoffen.