Rituale Pompöser Abi-Ball zum Abschied
Darmstadt (dpa) - Mit einer spaßig-skurrilen Mottowoche und einem pompösen Ball verabschieden sich die meisten Abiturienten von der Schule. Zuvor haben sich viele Kurse noch ein Erinnerungs-Shirt anfertigen lassen - mit den Namen aller Schüler und einem witzigen Spruch.
Humor und Originalität sind auch bei den in manchen Regionen beliebten Bannern gefragt. Meist gestalten sie die Eltern und hängen sie vor den Prüfungen an den Schulen auf. So wollen sie dem Nachwuchs auf den letzten Metern noch mal Mut machen. Was steckt hinter solchen Abi-Bräuchen?
Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht bei den zumeist 17 bis 19 Jahre alten Abiturienten ein leidenschaftliches „Zurückholen von Ritualen“ - in einer Zeit, in der das Leben eher ungeregelt sei. Der Soziologe und Mitautor der renommierten Shell-Jugendstudie spricht aber auch von einem „Ausdruck von Stolz, dass man das geschafft hat“.
Der Frankfurter Trend- und Zukunftsforscher Andreas Steinle ist überzeugt: „Das ganz große Thema dieser Generation ist die Geborgenheit in der Gemeinschaft.“ Der Grund sei vor allem die „hochgradige Individualisierung“ der Gesellschaft.
„Kindheitshelden“, „Geschlechtertausch“ oder „die 90er“ sind einige der Mottos, zu denen sich die Abiturienten an ihren letzten Unterrichtstagen inszenieren. „Es macht einfach Spaß“, beschreibt der hessische Landesschulsprecher und Abiturient Fabian Pflume. Entspannte Stimmung, witzige Verkleidungen und kleine Schauspieleinlagen gehörten zu den sogenannten Mottotagen dazu. „Oft wird auch der Abi-Scherz integriert.“
Angeregt durch eine Art Wettkampf im Internet um die „coolste, härteste und kostenträchtigste Abi-Woche“ liefen diese allerdings auch immer wieder aus dem Ruder, mahnt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Neben Alkoholexzessen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen nennt er einen „täuschend echten“ GSG-9-Einsatz als Beispiel.
Der Abi-Ball kommt ganz zum Schluss und steht oft auch unter einem Motto: „Der große Gatsby“, „Sommernachtstraum“ oder „Tausend und eine Nacht“ beispielsweise. Vor allem aber geht es beim letzten Abschied von der Schule förmlich und pompös zu: Die Schüler mieten noble, oft gediegene Locations, engagieren Bands und Kabarettgruppen und üben Standardtänze. Ganze Familien kleiden sich neu ein. So manches Mädchen steckt um die 300 Euro in ihr Abschlussballkleid, und ein maßgeschneiderter Anzug ist an vielen Schulen für die Jungen auch keine Ausnahme. Es gibt häufig ein Menü, der Eintritt liegt nicht selten bei 50 Euro pro Person - und mehr.
Pflumes Jahrgang etwa lässt sich seinen Abiball im Wiesbadener Kurhaus rund 25 000 Euro kosten. Einen großen Teil des Geldes haben die Schüler schon in den vergangenen Jahren erwirtschaftet - vor allem mit Verkäufen bei Schulveranstaltungen. Manche finden auch einen örtlichen Sponsor.
Die hohen Ausgaben geben nicht nur Hurrelmann und Meidinger zu denken, weil sie ausgrenzend wirken, sondern auch Pflume. Was machen Familien, die sich das nicht leisten können, fragt sich der 19-Jährige. Anders als bei Klassenfahrten gebe es keine Mechanismen, die Kosten finanziell aufzufangen. Warum nicht eine Nummer kleiner? „Es gibt schon Leute, für die ist der Abi-Ball ziemlich wichtig.“
Die Abi-Feiern dienten dazu, „eine Art Anker in der Biografie zu schaffen, damit nicht alles vorbei rauscht“, sagt Zukunftsforscher Steinle. Die jungen Erwachsenen wollten in der großen Zeitgleichheit von Studieren, Reisen, Auslandsaufenthalten und vielen Freiheiten eine „Beständigkeit über den Moment hinaus gewinnen“.
„Die Eltern spielen eine Schlüsselrolle“, sagt Hurrelmann. „Sie haben die Kinder gedrängt und gecoacht, dass sie das Abi machen.“ 70 Prozent der Eltern von Schulkindern wollten Umfragen zufolge, dass diese den höchsten Schulabschluss schaffen. „Jetzt sind die Abiturienten stolz, dass sie die Vorgabe ihrer Eltern geschafft haben.“
Mit den Eltern im Partnerlook oder in der gleichen Robe zum Abi-Ball? Für Hurrelmann gut vorstellbar. Zwischen den Generationen sei eine große Nähe und Allianz entstanden. Dahinter sieht der Forscher die Aussage: „Wir müssen uns verbünden. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Es sind unsichere Zeiten. Man kann seinen Lebenslauf nicht planen.“ Und: „Diesen Abschnitt haben wir geschafft. Wir haben das gemeinsam gemacht. Und das feiern wir.“