Porträt: Ohne ihn läuft in Kundus nichts
Qazi ist Pazifist, und doch arbeitet er für die Bundeswehr in Afghanistan – als hochdiplomatischer Dolmetscher.
Kundus. Es gibt Momente, da schließt Abdull Rahram Qazi die Augen und wartet auf einen Lichtblitz, eine Explosion. "Eigentlich bin ich Fatalist. Aber manchmal bekomme ich das Zittern, wenn ein Auto auf uns zurast. Dann denke ich sofort an einen Selbstmordattentäter", erzählt der Afghane in fast akzentfreiem Deutsch.
Qazi ist Dolmetscher des jeweiligen Kommandeurs im Feldlager der Bundeswehr im nordafghanischen Kundus. Ein nachdenklicher Mann mit einer sanften Stimme und großen dunklen Augen, die schon viel Leid und wechselnde Besatzer in seiner afghanischen Heimat gesehen haben.
Von Januar bis Juni lebt der 49-Jährige mit der Todesangst. Sechs Monate, in denen seine Frau und die 20 und 26 Jahre alten Söhne in Hamburg auf ihn warten. "Meine Familie glaubt, ich sei durch den Oberst geschützt. Ich lüge da ein bisschen." Qazi weiß, dass der Kommandeur für die radikal-islamischen Taliban im Norden Angriffsziel Nummer1 ist. "Und ich bin stets in der Nähe vom Oberst..."
Im deutschen Lager wird der 49-Jährige nur "unser interkultureller Einsatzberater" genannt. Denn Qazi ist mehr als nur ein Sprachmittler, der für den Kommandeur bei Treffen mit Behördenvertretern oder Dorfvorstehern in die Landessprachen Paschtu und Dari übersetzt. "In meinem Job bin ich auch Diplomat." Anders als die deutschen Soldaten weiß der Afghane um die Befindlichkeiten seiner Landsleute. "Die Menschen sind hier sehr sensibel und stolz."
Eine klare Sprache, das direkte Gespräch sind den Afghanen fremd. "Ich übersetze nicht eins zu eins, sonst fühlt sich die Gegenseite unwohl", erklärt Qazi. Wichtig sei die richtige Balance - "in der Sache hart, aber in der Formulierung blumig". Qazi gibt dem Oberst Tipps für die Begrüßung, wägt ab, ob man zum Essen bleiben oder es bei einem Tee belassen soll.
Der 49-Jährige war aber nicht immer Dolmetscher. Einst arbeitete er als Dozent für Jura und politische Wissenschaften an der Universität von Kabul. Bis die Verhältnisse unerträglich wurden. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe zwischen den afghanischen Mudschaheddin und den sowjetischen Besatzern flüchtete er 1987 mit seiner Familie nach Hamburg.
"Damals dachte ich, in ein oder zwei Jahren sind wir wieder in Afghanistan." Doch die Situation dort besserte sich nicht. In Deutschland aber wurde er zunächst nicht als politischer Flüchtling anerkannt. "Illegal" habe er Deutsch gelernt, "ich durfte nicht einmal einen Sprachkurs besuchen." Ein Professor ließ ihn als Gasthörer in einem VHS-Kurs zu.
"Zu Hause waren die Zeitung und das Wörterbuch meine wichtigste Lektüre." Sieben Jahre durfte er keinem Beruf nachgehen. Erst dann bekam er die ersehnte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Beim Gedanken an diese Zeit schüttelt Qazi den Kopf. "Was für eine Katastrophe für die vielen Intellektuellen, die Afghanistan in Richtung Deutschland verlassen haben."
Regelmäßig ging Qazi zum Hamburger Flughafen. "Dort gibt es noch heute etliche Taxifahrer, die in Afghanistan Anwalt, Richter oder Arzt waren." Von einem bekam er den Tipp, sich als Sprachmittler bei der Bundeswehr zu bewerben. Das deutsche Engagement am Hindukusch nach dem Sturz der Taliban kam ihm zugute. "Ich bewarb mich beim Sprachenamt in Hürth - und wurde genommen."
Nach einer militärischen Ausbildung bekam er eine Anstellung im Rang eines Oberstleutnants. "In Afghanistan war ich Pazifist, plötzlich hatte ich eine deutsche Uniform an." Die trägt er inzwischen mit Stolz. "Mit meiner Arbeit leiste ich einen Beitrag für mein Land", sagt Qazi und lächelt in sich hinein.