Publizist Ralph Giordano: „Mein Kopf ist klar wie immer“

Er wollte die Welt „ein bisschen wohnlicher“ gestalten als sie ist. Am Mittwoch wird der Publizist Ralph Giordano 90 Jahre alt.

Köln. Ralph Giordano wirkt erstaunt über das erreichte Alter. „90 Jahre. Das ist eine ungeheuere Strecke.“ Es sei ein Wunder. „Was für ein mörderisches Jahrhundert, durch das ich da gekommen bin.“ Der jüdische Autor hat die Verfolgung durch die Nazis als Jugendlicher in Hamburg überlebt, ist jahrelang in Köln von Rechtsradikalen bedroht worden. Am Mittwoch wird der Publizist 90 Jahre alt.

„Ich habe Glück gehabt mit meinen Genen. Ich habe keine akute Krankheit, alles funktioniert. Nur: Mein Energiehaushalt, mein Kräftepotenzial, ist reduziert, das spüre ich deutlich“, sagt er. „Mein Aktionsradius ist heute kleiner. Aber der Kopf ist klar wie immer — ohne dass ich in den Verdacht der Unbescheidenheit geraten möchte.“

Einladungen zu Diskussionsrunden, Vorträgen oder Interviews kann er kaum annehmen. Energisch wie eh und je ist er aber bei seinem zentralen Lebensthema — dem Kampf gegen Rechts.

Und da schrillten erst vor kurzem ganz heftig Giordanos Alarmglocken — als die Mordserie des rechtsextremistischen Terrornetzwerks NSU Ende 2011 aufflog. „Etwas Ungeheuerliches ist geschehen. Da mordet sich eine Nazigang durch Deutschland, mehr als zehn Jahre lang, und wird angeblich nicht auffällig. Dann, als das Netzwerk aufgedeckt ist, fällt die Bundesrepublik aus allen Himmeln ihrer Blindheit.“

Das mache ihm Angst, sagt der Schriftsteller: „Mir wird bange um die demokratische Republik, die einzige Gesellschaftsform, unter der ich mich sicher fühlen kann.“ Giordano betont: „Der Todfeind von gestern taucht heute in einer anderen Form und in einer neuen Generation auf.“ Dem „rechten Ungeist“ müsse man Aufklärung und inhaltliche Auseinandersetzung entgegensetzen, aber auch Zivilcourage. Das „Gezerre“ um einen neuen Verbotsantrag gegen die rechtsextremistische NPD findet er schwer erträglich. „Diese Partei hätte nie erlaubt werden dürfen.“

Das Leid seiner Jugend hat Giordano geprägt. Als Sohn einer jüdischen Mutter und eines sizilianischen Vaters war er von den Nationalsozialisten verfolgt, verhört, misshandelt, eingesperrt worden. Um der Deportation der Mutter zu entgehen, versteckte sich die Familie Anfang 1945 in einem rattenverseuchten Kellerloch, harrte halb verhungert bis zur Befreiung durch die Briten aus. Giordano sagt, sein Leben sei „verwoben mit Nationalsozialismus und seinen Plagiatoren“, vor denen er warnt.

Angegriffen wurde Giordano wegen seines Protests gegen den Bau der Kölner Zentralmoschee. Manche warfen ihm vor, er mache faktisch gemeinsame Sache mit Rechten. „Ich kämpfe an der Seite von kritischen Muslimen gegen Erscheinungen des Islam, die mit dem Grundgesetz nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.“

Seit 1972 lebt er in Köln. An den Rhein kam Giordano, weil ihm der WDR „fantastische“ Möglichkeiten als Fernsehredakteur anbot. In Köln lebt der Autor, der dreimal verheiratet war und kinderlos geblieben ist, in einer recht bescheidenen Hochhaus-Wohnung. Ein großzügiges Haus hätte er sich problemlos leisten können.

Giordano will sich auch mit 90 einmischen und mahnen. „Ich habe versucht, das Meine dazu beizutragen, diese Welt ein bisschen wohnlicher zu machen, als sie ist. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“