Rad-Autobahnen: Deutschland, ein Fahrradland?
In der Freizeit ist der Drahtesel beliebt. Könnte das Rad auch den Berufsverkehr entlasten? Doch dafür braucht es mehr Mut der Politik. Auf einem Fachkongress in Mannheim denken Experten jetzt über neue Wege nach.
Mannheim. 200 Jahre nach Erfindung des Fahrrads soll im oft heiklen Miteinander von Autofahrern, Radlern und Fußgängern alles besser werden. Viel öfter Tempo 30 in der Stadt, frühere Verkehrserziehung für Kinder und eine stärkere Digitalisierung sind Kernforderungen von Experten — sie sollen im Autoland Deutschland die Lust aufs Radeln weiter erhöhen und die Zahl der Verkehrstoten senken. Radfahren boomt, aber die Behörden verschlafen den Trend, kritisiert jedoch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC): Fahrradförderung sei mehr als das Aufmalen von bunten Streifen und Bildchen auf die Straße.
Doch wie sieht das Radfahren der Zukunft aus? Darüber diskutieren seit Montag Dutzende internationale Experten bei einem großen Kongress in Mannheim. Der Veranstaltungsort des zweitägigen Symposiums ist kein Zufall: In der badischen Stadt erfand Karl Freiherr von Drais vor 200 Jahren den Vorläufer des Fahrrads. Mit seiner Laufmaschine, mit der er am 12. Juni 1817 die erste Fahrt unternahm, hatte der gebürtige Karlsruher zwar kaum wirtschaftlichen Erfolg. Aber er gab den Anstoß zu einer neuen Art der Fortbewegung.
„Es ist viel getan worden, um Platz für Radfahrende zu schaffen. Das ist gut so und fördert die gegenseitige Akzeptanz“, sagt Jürgen Gerlach von der Uni Wuppertal. Er stellt sein Projekt „Fresh Brains“ in Mannheim vor. Dazu untersuchten Studenten aus Wuppertal und Breda (Niederlande) vier deutsche Kommunen. „Alle Städte haben positiv überrascht. Wuppertal ist noch keine Fahrradstadt — aber sie hat das Vorzeigeprojekt ‚Nordbahntrasse‘, das extrem gut angenommen wird. Chemnitz und Kassel haben gute Radinfrastruktur. Und Mönchengladbach hat engagierte Bürger“, sagt Gerlach. Dies zeige, dass sich abseits der klassischen Radfahrstädte Münster und Freiburg viel bewege.
„Im internationalen Vergleich ist Deutschland sicher ein Fahrradland, wir haben aber noch viel Luft nach oben“, sagt Frederic Rudolph vom Wuppertal-Institut. Er plädiert unter anderem für möglichst viele Tempo-30-Zonen. „Davon würde das Rad profitieren“, meint der Leiter des „Flow“- Projekts, das Verkehrsfluss und Stauvermeidung analysiert.
Etwa elf Millionen Menschen treten täglich in die Pedale, schätzt der ADFC. Doch politische Mutlosigkeit und rein kosmetische Lösungen verhinderten, dass das Radfahren in Deutschland noch weiter vorankomme. 15 Prozent Radverkehrsanteil habe sich die Bundesregierung bis 2020 vorgenommen, er stagniere aber derzeit bei unter zwölf Prozent. Zum Vergleich nennt der ADFC das Nachbarland Niederlande, wo der Anteil bei 27 Prozent liege.
Anlässlich der Mannheimer Tagung bekräftigt Staatssekretär Norbert Barthle den Plan neuer Fahrradwege für Pendler. „Erstmals fördert der Bund im Jahr 2017 besondere Radschnellwege mit zusätzlichen 25 Millionen Euro“, sagte er laut Medienbericht. Geplant sind „kleine Fahrradautobahnen“ ohne Ampeln und Kreuzungsverkehr.
Aufgrund der teilweise hügeligen Landschaft konnte Deutschland — etwa im Vergleich zu den Niederlanden — bisher nur bedingt ein Fahrradland sein, meint Björn Offermann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Elektroräder (E-Bikes und Pedelecs) hätten dies verändert. „Nun sind wir — wie ich finde — auf einem guten Weg“, sagt Offermann, der in Mannheim Lastenräder mit Brennstoffzellenantrieb (FCREX) vorstellt. Pedelecs können damit größere Lasten transportieren, längere Distanzen mit höherem Tempo bewältigen sowie in hügeligen Regionen und bei niedrigeren Umgebungstemperaturen eingesetzt werden.