Radioaktivität auf Rezept
Patienten schwören auf die lindernde Wirkung einer Radon-Kur in einem alten Bergwerk. Der Erfolg dieser Methode ist fraglich.
Bad Kreuznach. In dem alten Bergwerksstollen am Bad Kreuznacher Nahe-Ufer herrscht Gedränge. Etwa zwei Dutzend Menschen sind gekommen, um das radioaktive Gas Radon zu inhalieren, das durch ein Rohr aus den Tiefen des Gesteins strömt. Während die japanische Atomkatastrophe viele Menschen verunsichert, muten sich die Stollenbesucher für eine Stunde bewusst eine radioaktive Belastung zu. Die Strahlung soll Leiden wie Rheuma lindern. Der Nutzen ist jedoch umstritten.
„Das Radon wirkt schmerzstillend, und zwar anhaltend schmerzstillend“, sagt der 81-jährige Sanitätsrat Hans Jöckel überzeugt. Der Internist und Badearzt ist ärztlicher Leiter des einzigen deutschen Radonstollens.
1912 war in der rheinland-pfälzischen Kurstadt begonnen worden, Patienten mit Radon aus dem alten Bergwerk zu behandeln. Das Edelgas entsteht, wenn das in der Erdrinde vorkommende Metall Radium — ein Zerfallsprodukt des Urans — seinerseits zerfällt. Helfen soll die Radonbehandlung nach Angaben der Stollenbetreiber etwa bei der Bechterew’schen Erkrankung, einer Entzündung der Wirbelsäule sowie bei chronischer Gicht, Weichteilrheuma und altersbedingten Erkrankungen von Wirbelsäule und Gelenken.
Eine belegte Wirkkette ist jedoch nicht bekannt. Die Wärme im Heilstollen könnte eine Rolle bei der Symptomlinderung spielen. Jöckels These: Die vom Radon abgegebene Alphastrahlung sorge dafür, dass statt entzündungsfördernder entzündungshemmende Stoffe ausgesendet würden. Die Wirkung halte länger an als bei Tabletten, zudem gebe es keine Nebenwirkungen.
Von einer Verbesserung berichtet Patientin Nelli Drehband, die sich im Dämmerlicht des Stollens auf eine der Liegen bettet. Die 54-Jährige, die nach eigenen Angaben an Bechterew leidet, kommt seit vier Jahren zweimal jährlich für je zwölf Durchgänge.
„Ich habe weniger Schmerzen und muss weniger Medikamente nehmen“, sagt die Frau. Früher sei sie mit Morphium behandelt worden. Auf Linderung hofft auch der 75-jährige Hermann Link aus Ettlingen, der über Probleme in Rücken und Schulter klagt. Seine Kasse zahle die Behandlung, sagt er. Nelli Drehband muss die Kosten von je 21Euro selbst tragen.
Eine Gefahr geht laut Hans Jöckel nicht davon aus, dafür sei die Menge zu gering. Das Bundesamt für Strahlenschutz weist aber darauf hin, dass eine erhöhte Radonbelastung eindeutig Ursache für ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko sei. Bei genauer Abwägung von Nutzen und Risiko und sorgfältiger Überwachung könne aber eine Radon-Kur im Rahmen einer ärztlichen Verschreibung gerechtfertigt sein.