Lawine der Vorwürfe rollt Rascher Absturz: „Nie wieder Harvey Weinstein“

Los Angeles (dpa) - Als Kate Winslet 2009 den Oscar für ihre Hauptrolle in der Weinstein-Produktion „Der Vorleser“ entgegennahm, dankte sie zig Kollegen und Hollywoodgrößen - nur der Name Harvey Weinstein kam der Schauspielerin nicht über die Lippen.

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„Das war völlig absichtlich“, versicherte der britische Star am Wochenende der „Los Angeles Times“. „Wenn sich jemand nicht benimmt - warum soll ich ihm danken?“

Er habe sie persönlich zwar nicht sexuell belästigt, aber er sei stets tyrannisch, grob und ekelhaft gewesen, sagte Winslet (42) über den Produzenten. „Die Tatsache, dass ich in meinem Leben nie wieder etwas mit Harvey Weinstein zu tun haben muss, ist eines der besten Dinge überhaupt, und so denkt wohl die ganze Welt“.

Kaum jemand in Hollywood ist so schnell und tief gestürzt wie der verhasste, gefürchtete - aber über Jahrzehnte geduldete und erfolgreiche Mogul Weinstein. Die Lawine mit Vorwürfen von Vergewaltigung, sexueller Belästigung, Machtmissbrauch und Einschüchterungen reißt nicht ab, seit vor knapp zwei Wochen die Schauspielerin Ashley Judd und andere Frauen erstmals in einem investigativem „New York Times“-Artikel öffentlich auspackten.

Für Weinstein kam es Schlag auf Schlag: Rausschmiss aus dem eigenen Filmstudio The Weinstein Company (TWC), die Oscar-Akademie feuert ihn, Frankreich will die Auszeichnung der Ehrenlegion entziehen, Hollywoods Filmproduzenten-Vereinigung leitete am Montag ein Ausschlussverfahren ein. Die Ehefrau trennt sich inmitten der Vorwürfe, Ermittler in London, New York und Los Angeles stehen bereit.

Opfer sexuellen Missbrauchs sollten sich unbedingt melden, teilte ein Sprecher der Polizei in Los Angeles der „Los Angeles Times“ am Montag mit. Über seine Sprecherin hatte Weinstein bei Bekanntwerden der ersten Vorwürfe erklärt, er habe nur einvernehmlichen Sex gehabt.

Warum war Harvey Weinstein so lange an der Macht, wenn seine Machenschaften und sein Ruf in der Branche ständig Gesprächsstoff, auch für Witze, waren. So flachste etwa der US-Schauspieler Seth MacFarlane („Family Guy“) 2013 bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen für die besten Nebendarstellerinnen: „Herzlichen Glückwunsch. Diese fünf Damen müssen nun nicht mehr so tun, als ob sie Harvey Weinstein attraktiv finden.“

Warum sind US-Medien erst jetzt in den hochbrisanten Stoff eingestiegen? Der Reporter Ronan Farrow, Sohn der Schauspielerin Mia Farrow und des Regisseurs Woody Allen, hatte in Sachen Weinstein monatelang recherchiert. „Über viele Jahre hinweg haben viele Nachrichten-Organisationen diese Geschichte umkreist und dabei eine Menge Druck erlebt“, sagte Farrow vorige Woche dem Sender MSNBC. Ihm selbst sei bei seinen Ermittlungen mit einer Klage von Weinstein gedroht worden.

Farrow hatte zahlreiche Frauen aufgespürt, die sich bereit erklärten, über Weinsteins Übergriffe zu sprechen. Beim Sender NBC, wo der 29 Jahre alte Journalist freiberuflich arbeitet, war er mit seiner Recherche abgeblitzt, brachte sie aber vorige Woche beim Magazin „The New Yorker“ unter. 13 Frauen werfen Weinstein darin sexuelle Belästigung vor, drei sprechen von Vergewaltigung. Farrow zeichnet ein Bild von vielen Mitwissern in Weinsteins Umfeld, die sein Verhalten stillschweigend duldeten.

Für Farrow, von seinem Vater Woody Allen seit langem entfremdet, ist dies ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Im vorigen Jahr hatte er US-Medien vorgeworfen, die Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivschwester Dylan gegen ihren Vater kleinzuhalten. Farrow kritisierte, Zeitungen wie die „New York Times“ und die „Los Angeles Times“ hätten über die Ausführungen seiner Schwester aus Angst vor Allens mächtiger PR-Rückendeckung nicht oder nicht ausführlich genug berichtet.

Dylan hatte Allen 2014 beschuldigt, er habe sie im Kindesalter missbraucht. Diese Vorwürfe hatte schon Mia Farrow 1992 nach der Trennung von Allen in einem Sorgerechtsprozess erhoben. Der Regisseur wies die Anschuldigungen stets zurück.

Mit Bemerkungen beim Sender BBC über die Weinstein-Affäre, die er später klarstellte, sorgte Allen am Wochenende selbst für Wirbel. Der 81-Jährige hatte die Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen Weinstein als „tragisch für die armen Frauen, die betroffen waren“ bezeichnet, aber auch als „traurig für Harvey, dass sein Leben so verkorkst ist“. Am Sonntag stellte Allen im Fachblatt „Variety“ klar, er hätte damit ausdrücken wollen, dass er Weinstein für einen „traurigen, kranken Mann“ halte.