Religiöse Beratung über Facebook: Der Mullah, den man adden kann
Der Afghane Sadschad Mohsini hat das Internet lieben gelernt, um seinen Glauben zu verbreiten.
Düsseldorf. Schuld an allem hatte Laura Bush. Bei einem Afghanistan-Besuch im Jahr 2008 schüttelte die Frau des damaligen US-Präsidenten George W. Bush dem muslimischen Kleriker Mullah Sadschad Mohsini herzlich die Hand. Kameras klickten, und die Bilder gingen um die Welt.
Doch in den sozialen Medien in Afghanistan folgte ein Sturm der Entrüstung. Mohsini, der schiitische Mullah, hatte einer amerikanischen Frau die Hand gereicht.
„Es ist klar, dass es der Islam nicht erlaubt, dass ein Mann einer fremden Frau die Hand gibt. Aber moralisch gesehen konnte ich es nicht ablehnen“, sagt Mohsini über das Geschehene. Der Vertreter der schiitischen Hazara-Minderheit gehörte zu einem Begrüßungskomitee, das die First Lady in der Provinz Bamian willkommen geheißen hatte.
Mohsini musste dann rasch lernen, was dieses Internet ist. Die vorangegangen 30 Jahre seiner schiitischen Klerikerlaufbahn hatte er mit Computern nichts am Hut gehabt. Doch nun wurde er online kritisiert. Sein Sohn brachte ihm bei, mit Suchmaschinen umzugehen und erklärte ihm, wie Facebook funktioniert. „Der Mensch kümmert sich nicht um Dinge, bis sie für ihn oder sie notwendig werden, oder er unter sozialen Druck gerät“, meint Mullah Mohsini philosophisch.
Heute nutzt der 67-Jährige soziale Medien, um junge Menschen in Glaubensfragen zu beraten. „Wissenschaft und Technik entwickeln sich laufend weiter, ob es uns nun recht ist oder nicht“, sagt Mohsini. Die Menschen hätten seit jeher versucht, sich das Leben bequemer zu gestalten. Früher etwa seien Gläubige auf dem Eselsrücken nach Mekka gepilgert. „Heute fliegen sie im Flugzeug.“
Die Geistlichen sind sich uneins über soziale Medien. Viele hochrangige Kleriker verdammen Facebook und Twitter als unislamisch. Davon hält Mohsini nichts: „Es wäre verrückt, im 21. Jahrhundert mit all dieser Technologie zu leben und immer noch wie die Menschen im siebenten Jahrhundert leben zu wollen.“ Wegen dieser Einstellung saß er während der Herrschaft der radikalen sunnitischen Taliban im Gefängnis.
Der Mensch sei ein Feind dessen, was ihm fremd sei, sagt der Mullah mit den Worten eines schiitischen Gelehrten. „Unsere Kleriker kennen sich mit dem Internet nicht aus, daher sind einige dagegen eingestellt.“ Er hingegen sei fasziniert und nutze es, so gut er nur könne. „Man kann das Internet nutzen, um komplexe gesellschaftliche, politische und kulturelle Fragen zu lösen.“
Wenn er früher keine Antworten im Koran gefunden habe, habe er oft tagelang nach Lösungen gesucht. „Jetzt kann ich es binnen Sekunden herausfinden“, sagt Mohsini und zeigt stolz sein Smartphone. Jeden Tag postet er auf Facebook seine Lehren zur islamischen Moral, und, je nach Laune, auch mal ein paar Verse.
Seine Beliebtheit freut ihn. „Vor Facebook mochte mich nicht einmal mein eigener Sohn, weil ich ein Mullah war. Viele haben ihre Meinung über mich geändert. Viele junge Menschen mögen meine Seite, weil ich offen bin und soziale Medien verwende.“ Dem kann Reza Ali nur zustimmen. Der junge Mann aus Bamian sagt, er schätze Mohsinis liberale Ansichten. „Ich bewundere ihn, weil er uns anregt, den Islam nicht als etwas zu sehen, das gegen die Moderne ist.“
Im privaten Facebook-Chat könne er auch persönliche Fragen beantworten, die jungen Menschen sonst vielleicht peinlich seien, erzählt Mohsini. „Sogar Mädchen stellen mir persönliche Fragen, und ich beantworte sie.“ Eine Frau etwa wollte Rat zu ihrer Ehe, zu ihren Rechten und Pflichten als Ehefrau. „Jemand anderer fragte mich, wie viele Buchstaben der Koran habe. Ich habe es gegoogelt und die Antwort gefunden.“