Russlands Modewelt entdeckt ihr Potenzial

Moskau (dpa) - Die Models in der Show von Dasha Gauser erinnern an Schulmädchen auf dem Weg zum Chemieunterricht: Mit Schutzbrillen, Kitteln und kurzen Röcken schickt die Designerin sie auf der Moskauer Modewoche über den Laufsteg, die gerade stattfindet.

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Für den russischen Geschmack fallen ihre Entwürfe in diesem Jahr schlicht und sachlich aus: „Die russische Frau macht vor nichts Halt. Wenn es in Mode ist, Söckchen zu tragen, Glitzer, Strass und verschiedene Prints, kombiniert sie das alles in einem Look“, scherzt Dasha Gauser. Andere Modehäuser zeigten in ihren Schauen lange Blumenkleider, bestickte Kaftane oder durchsichtige Blusen - oder alles in einer Kollektion.

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Nachhilfe in Kreativität hat die russische Modeindustrie gewiss nicht nötig, auch wenn ihr Förderung gelegen käme. Denn seit Valentin Judaschkin und Slawa Saizew in den 90er Jahren hat kein russischer Designer mehr internationalen Ruf erlangt. Auf den Weltmarkt dringt Kleidung „made in Russia“ kaum vor.

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Das hat vor allem strukturelle Gründe: Die einheimische Produktion ist auf Textilien für Uniformen und Arbeitskleidung ausgerichtet. 90 Prozent der Kleiderstoffe werden importiert, Logistik und Zoll verteuern die Produktionskosten enorm. Beim Export scheitern vor allem kleinere Marken an den komplizierten Zollvorschriften. Nach Daten der Weltbank dauert die Ausfuhr an russischen Grenzen dreimal so lange wie an den deutschen und ist im Schnitt auch dreimal so teuer.

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Umso begehrter ist Mode aus Europa: Schon seit Zeiten der Sowjetunion verspricht sie den Russinnen Tragekomfort und hohe Qualität. Marken wie Escada, die auch den farbenfrohen Geschmack der Russinnen treffen, halten ihren Rang auf dem Markt seit Jahrzehnten. H&M, Zara und Mango sind in fast jedem Einkaufszentrum vertreten.

Auch das russische Label Helen Leggero verspricht europäischen Stil. Jelena Schumskaja hat 2009 ihre Marke so benannt, weil das italienische Adjektiv ihren Designansatz beschreibt. „Leicht“ und „flink“ soll sich die Mode dem Alltag ihrer Trägerin anpassen, in der sie ebenso gut im Büro wie auf einer Party erscheinen kann.

„Als Designer bei uns erfolgreich zu werden ist möglich, wenn du dir selbst dein Publikum schaffst“, sagt Schumskaja, die an der staatlichen Moskauer Lomonossow-Universität Textildesign studiert hat. Statt auf regelmäßige Kollektionen setzt Helen Leggero auf Einzelstücke, die sie selbst an der Nähmaschine für ihre Kundinnen schneidert. Sie bedient damit ein Nischenpublikum, denn russische Käuferinnen sind sehr markenbewusst: Ein großer Name auf dem Etikett werde mit Qualität assoziiert und dürfe ruhig teuer sein, meint Schumskaja. Wer erst zur Marke werden will, hat es schwer.

Doch inzwischen kommt Bewegung in den Markt: Die Wirtschaftskrise durch Sanktionen und den schwachen Rubelkurs hat das Kaufverhalten verändert. Statt ausgedehnter Shoppingtouren, mit denen Neureiche einst ihren Konsumhunger stillten, ist bei den meisten Sparen angesagt. Vergangenes Jahr registrierten die Einkaufszentren in der Hauptstadt Moskau 20 Prozent weniger Besucher. Viele europäische Marken zogen sich vom Markt zurück.

Gerade russischen Designern eröffnet die Krise neue Chancen: Unter dem Stichwort Importsubstitution greifen staatliche Kreditprogramme der Leichtindustrie unter die Arme. Der Online-Großhändler AliExpress hat auf Betreiben des Wirtschaftsministeriums eine Abteilung namens „Fashion: Made in Russia“ eingerichtet. Doch das Vertrauen der Russen in einheimische Marken muss erst wachsen: Gerade die modeverrückte Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren schätzt Waren „made in Russia“ laut Industrieministerium noch am wenigsten.