Umfrage Satire in Terrorzeiten: Ist alles erlaubt?

Berlin/Mainz (dpa) - Die Satire zeigt Gesicht. Nach den Terroranschlägen in Paris wollen sich Comedians und Kabarettisten nicht geschlagen geben. Die Show soll weitergehen - nach Tagen des Nachdenkens und Sortierens.

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Der Komiker Helge Schneider hatte am Dienstagabend eine Lesung in Hannover abgesagt, weil das Länderspiel Deutschland-Niederlande wegen einer Terrorwarnung ausfiel. „Wenn das so weitergeht und ich am Ende morgen auch nochmal absagen muss, komme ich Donnerstag wieder“, sagt Schneider in einem Video auf seiner Facebook-Seite, während er genüsslich eine Mandarine isst.

„Jetzt erst recht“ scheint das Motto zu sein - auch bei der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“. Auf dem Titel der neuen Ausgabe schreibt die Redaktion, die am 7. Januar in Paris selbst Schauplatz eines blutigen Anschlags mit zwölf Toten war, provokant auf Französisch: „Sie haben die Waffen. Wir scheißen auf sie, wir haben den Champagner!“ Und auch im deutschen Fernsehen schweigt die Satire nicht.

Das ZDF hatte am vergangenen Freitag - dem Tag der Anschläge - zunächst die „heute-Show“ aus dem Programm genommen und die Otto-Waalkes-Show am Samstag verschoben. Die Satiresendung „Die Anstalt“ lief am Dienstagabend wieder nach Plan. Komiker Alfons ging darin auf den Terror von Paris ein. „Satire möchte Bezug auf die aktuelle politische Entwicklung nehmen“, sagt ein ZDF-Sprecher. „Deshalb versuchen wir in allen Formaten angemessen auf die Situation nach den Anschlägen zu reagieren.“ Selbst wenn es überspitzende Aussagen gebe, dürften auch satirische Inhalte niemals verrohende oder verhetzende Wirkung haben.

Auch der Comedian Tobias Mann, im nächsten Jahr wieder in der ZDF-Sendung „Mann, Sieber!“ zu sehen, plädiert für Augenmaß. „Man kann sich grundsätzlich jedes Themas im Kabarett annehmen. Je komplexer ein Sachverhalt allerdings, je ernster der Hintergrund ist, je heikler ein Thema wahrgenommen wird, desto genauer und gewissenhafter muss man seine Texte erarbeiten“, meint er. Bei harten Themen sei die satirische Aufarbeitung nicht einfach. „Aber es ist die Herausforderung, der man sich als Kabarettist stellen muss.“ Der Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“, Tim Wolff, betont: „Satiriker dürfen in Zeiten des Terrors so weit gehen, wie sie es für angemessen halten, aber nicht so weit wie Terroristen.“

Die ARD will ihre Satiresendung mit Dieter Nuhr ebenfalls planmäßig zeigen: „Der Inhalt der nächsten Ausgabe von "Nuhr im Ersten" am 3. Dezember entsteht gerade unter dem Eindruck der Ereignisse“, erklärt der Unterhaltungschef des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Heiner Heller. Im Januar machte Nuhr das Attentat auf „Charlie Hebdo“ zum einzigen Thema der Sendung. „Aktuelles Zeitgeschehen leitet uns grundsätzlich bei der Themenauswahl für Satiresendungen“, betont Heller. „In diesem Sinne begibt sich Dieter Nuhr ständig auf Gratwanderung, wofür wir ihn ganz besonders schätzen.“

Mann und Nuhr waren beide schon im Mainzer Kabarett „Unterhaus“, das seit bald 50 Jahren ein Ort der Satire ist. Geschäftsführer Dietrich Ewald wirbt dafür, einen kühlen Kopf zu bewahren - und nicht einzuknicken. „Immer muss Kultur aus meiner Sicht Flagge zeigen für Toleranz und gegen Fremdenhass“, sagt er. Solange es keine Hasstiraden auf der Bühne gebe, könne Gewalt immer ein Thema des Kabaretts sein. „Die Grundlage aller Freiheit ist Rücksichtnahme“, sagt Ewald.

Wie Schneider hatte auch der Kabarettist Gerd Dudenhöffer („Heinz Becker“) einen Auftritt am Dienstagabend abgesagt - und weitere Veranstaltungen, allerdings noch vor der Absage des Länderspiels. „Ich glaube nicht, dass Satire im Moment etwas erreicht“, teilte er mit. „Zumal ich in meinem aktuellen Programm auch die Themen Terror und Islam sehr intensiv satirisch behandele.“

Die US-Amerikaner sind da weniger vorsichtig. Der Komiker John Oliver kommentierte die Anschläge in Paris am Sonntagabend in seiner Late-Night-Show „Last Week Tonight“ auf HBO so: „First, as of now, we know this attack was carried out by gigantic f(...) arseholes.“ Frei übersetzt: Die Anschläge wurden verübt von ganz großen Arschlöchern.

Zum Schluss muss noch Kurt Tucholsky zu Wort kommen, der sich vor fast 100 Jahren im „Berliner Tageblatt“ Gedanken über Satire machte. „Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht“, schrieb er. „Was darf die Satire? Alles.“