Sauerstoffmangel-Studie: Wenn die Luft ganz knapp wird
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt führt eine Studie durch, bei der die Auswirkungen von Sauerstoffmangel auf den Körper untersucht werden. Für Ralf Dujmovits und seine Lebensgefährtin Nancy Hansen wird die Luft ziemlich dünn.
Köln. „Es geht uns den Umständen entsprechend gut“, sagt Ralf Dujmovits, als er mit uns telefoniert. „Ich fühle mich nur oft sehr müde und antriebslos. Mittlerweile gehen wir abends schon um kurz nach halb zehn ins Bett“, sagt der 56-jährige Bergsteiger und muss im Gespräch zwischenzeitlich tief Luft holen, braucht eine Denkpause, um seine Gedanken zu sortieren. Sein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Denn für Dujmovits und seine Lebensgefährtin Nancy Hansen wird die Luft gerade ziemlich dünn. Nicht etwa im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich.
Die erfahrenen Bergsteiger — Dujmovits ist 56 Jahre alt, seine Partnerin 49 — nehmen zurzeit als Probanden an einer Sauerstoffmangel-Studie im Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Köln teil. Seit über zwei Wochen befinden sich die beiden nun in einer „Hypoxiekammer“ des DLR, in der schrittweise der Sauerstoff im Raum reduziert wird. Im Dienste der Wissenschaft, versteht sich. Weil die Verringerung des Sauerstoffgehalts der Luft in etwa mit der ansteigenden Höhe im Gebirge vergleichbar ist, geben die Forscher den jeweiligen Grad der Sauerstoffknappheit in Höhenmetern an.
Dabei sollen die Auswirkungen von länger andauerndem Sauerstoffmangel auf den Körper untersucht werden. „Uns interessieren dabei ganz unterschiedliche Aspekte“, erklärt Studienarzt Ulrich Limper. „Im Kern geht es darum, wie sich der Organismus an schwierige Bedingungen anpasst.“ Dabei erhoffen sich die Forscher nicht nur wertvolle Erkenntnisse für die Raumfahrt, um etwa zu wissen, wie der Körper außerhalb der Atmosphäre mit Sauerstoffentzug umgeht.
Für die Mediziner ist dabei vor allem interessant, ob die sauerstoffarme Umgebung die Herzfunktion verbessern und somit etwa wertvolle Erkenntnisse für die Herzinfarktforschung liefern könnte, wie Limper erläutert: „Es gibt einen Versuch von amerikanischen Forschern, die bei Mäusen zunächst einen Herzinfarkt verursacht und die Tiere anschließend zwei Wochen lang einem Sauerstoffentzug ausgesetzt haben. Dabei hat man festgestellt, dass die Herzmuskelfaserzellen wieder begonnen haben, sich zu teilen.“
Nun sind Dujmovits und Hansen von einem Herzinfarkt glücklicherweise weit entfernt. Im Gegenteil sind die beiden gestandenen Sportler kerngesund und müssen sich auch in einer guten körperlichen Gesamtverfassung befinden, um an der Studie überhaupt teilnehmen zu können. Doch ist der mögliche medizinische Fortschritt für Dujmovits auch eine Motivation, an der Studie teilzunehmen, wie er sagt: „In den vergangenen zwei Monaten gab es gleich zwei Herzinfarkte in meinem Bekanntenkreis. Um so mehr freue ich mich, wenn ich vielleicht dazu beitragen kann, dass die Forschung bei kardiologischen Erkrankungen einen Schritt vorankommt,“, sagt der Bergsteiger, der selbst eine Zeit lang Medizin studiert hat.
Fünf Wochen verbringt das Paar in einem recht solide eingerichteten Appartement von circa 200 Quadratmetern Größe, in dem es ihm auf den ersten Blick an nichts fehlt: Über einer Couch in dem lichtdurchfluteten und etwas steril anmutenden Raum hängt eine Panorama-Aufnahme der Alpen, es gibt einen Fernseher und auf verschiedenen Sportgeräten — darunter eine Kletterwand — können die beiden Sportler sich fit halten. Nur ein kostbares Gut ist nicht grenzenlos verfügbar: Sauerstoff.
Bequem ist anders: Bei der Bettruhe-Studie des DLR müssen die Teilnehmer ihre Mahlzeiten im Liegen zu sich nehmen. Foto: DLR
Die Grenzen des medizinisch Verantwortbaren kennt das Forscherteam des DLR derweil sehr genau, wie Limper betont: „Ein ungeborenes Kind im Mutterleib hat circa 35 Kubikmillimeter Sauerstoffpartialdruck im Blut. Dieser Wert war für uns sowohl das Ziel als auch das Limit dessen, was wir unseren Probanden zumuten konnten.“ Ein erwachsener Mensch hat deutlich über 100.
Denn desto weniger Sauerstoff der Körper einatmet, desto geringer ist der Druck im Blut. Dabei beträgt der Sauerstoffgehalt der Luft normalerweise 21 Prozent — weitere 79 Prozent macht Stickstoff aus, während der Anteil von Kohlendioxid und Edelgasen wie Argon jeweils unter einem Prozent liegt. Zu Beginn der Studie wurde der Sauerstoffgehalt der Luft auf 13,5 Prozent reduziert, was nach Angaben der Forscher 3500 Höhenmetern entspricht.
Neben der Müdigkeit haben Dujmovits und Hansen zuweilen mit Symptomen wie Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche zu kämpfen. Das tatsächliche Gesundheitsrisiko bei der Studie sei aber überschaubar, betont der Studienarzt: „Die Studie wird rund um die Uhr ärztlich überwacht. Außerdem haben die Probanden jederzeit die Möglichkeit, einfach den Raum zu verlassen und den Versuch abzubrechen, sobald es ernsthafte Probleme geben sollte.“
Zwar müssten die beiden tagsüber zahlreiche Messungen und Untersuchungen über sich ergehen lassen, doch seien die Bedingungen im Labor immer noch sehr viel komfortabler als etwa in den Bergen: „In der Natur müssen die Bergsteiger schließlich neben der Sauerstoffknappheit mit Wetterkapriolen wie Sturm oder Regen zurechtkommen“, so Limper. Inzwischen haben Nancy Hansen und Ralf Dujmovits die Hypoxiekammer des DLR verlassen und die Studie erfolgreich beendet.
Opfer im Dienste der Wissenschaft erbringen auch die Teilnehmer sogenannter Bettruhe-Studien, die ebenfalls am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt werden: Bei dem insgesamt dreimonatigen Forschungsprojekt verbringen die Probanden zwei Monate am Stück liegend im Bett. Ziel der Bettruhe, bei der sich der Körper konstant in sechs Grad Kopf-Tieflage befinden muss, ist der Abbau von Muskeln und Knochen sowie eine Flüssigkeitsverschiebung in die obere Körperhälfte — eine Begleiterscheinung des Lebens in der Schwerelosigkeit.
Bei der Studie im Jahr 2015/2016 wollten die Wissenschaftler unter anderem herausfinden, ob der Muskel- und Knochenabbau geringer ausfällt, wenn die Probanden im Liegen ein spezielles Training absolvierten. Dazu wurden die Versuchspersonen in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine verzichtete in der Liegendposition auf körperliches Training, die anderen trainierten regelmäßig im Liegen auf einem „Sprungschlitten“, einem speziell für diesen Zweck konstruierten Fitnessgerät.
Student Tim (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt) hat vor zwei Jahren an der Studie teilgenommen. Warum er all die Strapazen auf sich genommen hat, obwohl mancher Kumpel in seinem Freundeskreis ihn für verrückt erklärt hat? „Für mich war das auch ein Riesenabenteuer, ohne dass ich dabei ein ernsthaftes Risiko eingehen musste. Rückblickend war die Zeit auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.“
Einsamkeit müssen die Probanden während ihrer Bettruhe zumindest nicht leiden: In einem Aufenthaltsraum werden die Betten abends nach den Untersuchungen zusammengeschoben, damit die Versuchspersonen sich über ihre Erfahrungen austauschen können. „Das hatte manchmal schon etwas von Zeltlager“, erinnert sich Tim.
Davon abgesehen erhalten die Probanden vom DLR eine Aufwandsentschädigung für ihre Teilnahme: 5000 Euro fließen auf ihr Konto, wenn sie das Projekt inklusive aller Vor- und Nachuntersuchungen erfolgreich abgeschlossen haben. Das Geld allein sei aber für die wenigsten der einzige Grund für die Teilnahme, da ist sich Tim sicher: „Wenn es da nicht noch eine andere Motivation gibt, hält man das nicht durch.“