Schriller Stern am Pop-Himmel
Lady GaGa steht für Dekadenz und die Lust am inszenierten Skandal – und ist trotzdem eine unverschämt gute Sängerin. Sie wird das Popjahr 2009 dominieren.
Düsseldorf. Für einen Satz ist Lady GaGa Christina Aguilera besonders dankbar. Und das, obwohl er alles andere als schmeichelhaft war. "Lady GaGa - ich weiß nicht einmal, ob das ein Mann oder eine Frau ist", ätzte Aguilera, als sie im vergangenen Jahr zum wiederholten Male von Journalisten auf ihre Ähnlichkeit mit dem Star der Stunde angesprochen wurde.
Für Lady GaGa bedeutete diese zickige Spitze den endgültigen Durchbruch. Plötzlich sprach jeder über die 23-Jährige, ihren extravaganten Kleidungsstil, ihre freizügigen Bühnenshows und - am entscheidendsten - über ihr Potenzial, der nächste wahre Superstar werden zu können.
Wie sie da so schnell hinkam? Harte Arbeit, nichts weiter. Mit 19 flog sie bei Hitmaschine L.A. Reid nach nur drei Monaten aus dem mit heißer Nadel gestrickten Vertrag, heuerte stattdessen bei Interscope Records an und war binnen kürzester Zeit gefragte Songschreiberin für Britney Spears, Fergie oder die Pussycat Dolls.
Eher zufällig bekam ihr Mentor Akon mit, dass sie nicht nur ein feines Gespür für Hits, sondern auch eine veritable Stimmbegabung besitzt. Sie solle, so seine Forderung, künftig erstmal für sich selbst Songs schreiben, was sie denn auch eifrig tat. Entstanden war Ende vergangenen Jahres daraus ein eigenes Album mit dem richtungsweisenden Titel "The Fame", der Ruhm. Das Prinzip der selbst erfüllenden Prophezeiung ging auf. Schon jetzt steht fest, dass Lady GaGa das Popjahr 2009 dominieren wird.
Und dabei sah es im vergangenen Herbst noch so aus, als würde Stefani Joanne Angelina Germanotta, so ihr bürgerlicher Name, direkt nach ihrem knalligen Erscheinen schon wieder verschwinden. Reine Dance-Musik ist in den USA schon seit den frühen 80ern kein Thema mehr, entsprechend schleppend verkaufte sich ihre Debüt-Single "Just Dance". Im tanzwütigen Europa, so der Gedanke ihrer Manager, könnte der Funke eher zünden. Doch auch hier war "Just Dance" bestenfalls ein Achtungserfolg.
Dabei hat die Menschheit, so wirkt es jetzt im Nachhinein, eigentlich auf nichts anderes gewartet. Eine Krise beantwortet man am besten mit Dekadenz, Oberflächlichkeit und der Lust am inszenierten Skandal. Genauso wischten Früh-80er-Bands wie Spandau Ballet, Visage oder Ultravox damals Ölkrise und Wirtschaftsstagnation aus den Köpfen.
Wozu Trübsal blasen, solange das Haarspray reicht und das Schulterpolster sitzt? Eine Maxime, der sich auch Lady GaGa verschrieben zu haben scheint. Ihr ganzes Auftreten ist laszive Show, ihre Songs sind geschickte Ohrwürmer, die beim ersten Hinhören seelenlos erscheinen, tatsächlich aber sehr detailfreudig produziert sind.
Diese versteckten Qualitäten setzten sich letztlich doch durch. In den USA erreichte "Just Dance" nach 22 Wochen die Pole Position, in Deutschland nagte sich ihr zweiter Hit, "Poker Face", elf Wochen lang an der Nummer eins fest.
Wer jetzt, nach diesen beiden vordergründigen Tanznummern, denkt, Lady GaGa sei eine hohle Hupfdohle, irrt auch hier. Das Album ist eine geschickte Melange aus Balladen, teils vertracktem Soul und leicht rockigem Pop. Alles sehr offensichtlich, klar. Aber in seiner Einfachheit fast unwiderstehlich. Eben der Stoff, aus dem Pop-Karrieren gestrickt sind.