Provenienzforschung Schweres Erbe - Humboldt Forum ein Jahr vor der Eröffnung
Berlin (dpa) - Mit dem Berliner Humboldt Forum soll im kommenden Jahr Deutschlands ehrgeizigstes Kulturprojekt starten. Doch während mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses die äußere Hülle schon fast steht, sehen sich die Verantwortlichen im Inneren mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert.
Ein Gutteil der ethnologischen Schätze, die in dem riesigen Kunst- und Kulturzentrum gezeigt werden sollen, stammt aus der Kolonialzeit.
„Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“ - mit diesem Satz hatte die deutsch-französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im vergangenen Jahr ihre Mitarbeit in einem vorbereitenden Expertengremium aufgekündigt und damit eine gewaltige Debatte über den schwierigen Umgang mit dem kolonialen Erbe entfacht.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hauptakteur im künftigen Museum, sieht sich auf einem guten Weg. „Wir werden uns bei allen Objekten, die im Humboldt Forum präsentiert werden, mit der Frage ihrer Herkunft befasst haben“, sagt Stiftungspräsident Hermann Parzinger. „Das wird aber nicht abschließend der Fall sein. Denn Provenienzforschung ist ein langwieriger, komplexer Prozess.“
Das gilt schon für die schiere Menge der Schätze, erst recht aber für die oft verschlungenen Wege, auf denen sie nach Europa kamen. Von den rund 500.000 Objekten des Ethnologischen Museums in Dahlem sollen rund 20.000 in das Humboldt Forum in der Mitte Berlins wandern. Schon vor Jahren haben die Verantwortlichen begonnen, besonders sensible Sammlungsbestände zu verorten und genauer unter die Lupe zu nehmen.
So gab die Stiftung im Mai erstmals Grabbeigaben aus Alaska an Vertreter der Native People zurück. Die Forschung hatte ergeben, dass die neun Objekte - darunter Masken und eine Kindertrage - keineswegs aus einer genehmigten archäologischen Grabung stammten, sondern aus einer Plünderung.
In zwei beispielhaften Projekten setzte sich das Ethnologische Museum zudem mit seinem Sammlungsbestand aus Tansania auseinander - insgesamt mehr als 10.000 Objekte. In dem ostafrikanischen Land war das Deutsche Reich von 1885 bis 1918 Kolonialmacht und für eines der blutigsten Gemetzel der Kolonialgeschichte verantwortlich. Bis zu 300.000 Menschen kamen bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands durch deutsche Truppen ums Leben.
Jetzt erprobten deutsche Kuratoren zusammen mit Museumsexperten, Wissenschaftlern und Künstlern aus Tansania zwei Jahre lang, wie sich die Biografie möglicher Kriegsbeute gemeinsam erforschen lässt. Unter dem Titel „Humboldt Lab Tanzania“ erschienen kürzlich erste Ergebnisse - etwa zu einem geheimnisvollen Lederbeutel mit 96 medizinischen Utensilien, der einst einem Heilkundigen gehörte.
Freilich: Nicht alles muss gestohlen, geraubt oder erpresst sein. Der Museumsdirektor Lars-Christian Koch plädiert deshalb für einen differenzierten Blick. „Wir haben in den Sammlungen Objekte mit verschiedensten Erwerbshintergründen - Kriegsbeute, Schenkungen, Sammlerreisen und mehr - und natürlich müssen wir in jedem Fall die genauen Erwerbsumstände kritisch prüfen“, sagt er.
Und selbst dann kann die Bewertung noch recht unterschiedlich sein. Was etwa ist mit jenem berühmten Perlenthron, den König Njoya von Bamum 1908 dem deutschen Kaiser Wilhelm II. zum Geburtstag schenkte? Ist er wirklich ein Geschenk oder eher ein Symbol für die koloniale Unterdrückung Kameruns?
Und was ist mit den freiwilligen Tonwalzenaufnahmen eines Medizinmanns der Navajo aus den 30er Jahren, die im Lautarchiv zu hören sein sollten? Nach deutschem Rechtsverständnis sind sie längst zur Verwendung frei, nach Meinung der Navajo handelt es sich um Heilige Gesänge, die kein anderer hören darf.
Die Initiative Berlin Postkolonial, die die Berliner Museen seit langem kritisch begleitet, sieht bisher kaum Fortschritte bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. „Das bereits massiv geschädigte Image des Humboldt Forums als „Räuberhöhle“ kann nur noch durch eine inklusive und transparente Museumspolitik gerettet werden“, sagt der Sprecher Christian Kopp.
Für die Berliner Museen heißt das Zauberwort „Shared Heritage“, geteiltes Erbe. Bei den Wechselausstellungen im Humboldt Forum werde es immer eine Doppelkuratierung geben, auch für die Dauerausstellung arbeite man mit Kollegen vor Ort zusammen, sagt Museumsdirektor Koch. „Bis wir die Geschichte der Objekte wirklich differenziert aufgearbeitet haben, braucht es einfach Zeit. Aber das Humboldt Forum soll eben genau dieser Ort des gemeinsamen Erforschens werden.“