Sebastian Koch lässt seine Figuren leben
Oscar-Gewinner Sebastian Koch leiht der Zeitgeschichte sein Gesicht und bleibt selbst nahezu unsichtbar. Dennoch beeindruckt der Schauspieler durch seine enorme Ausstrahlung.
Düsseldorf. Bevor hier von den unvergessenen Momenten in Sebastian Kochs Karriere die Rede sein soll, erinnern wir uns an einen (beinahe) vergessenen: Als 1994 mit Rosa Roth (Iris Berben) erstmals eine Frau Namensgeberin einer eigenen Krimireihe im deutschen Fernsehen wurde, war auch Koch dabei - als Rosas erschossener Liebhaber. Er war, wie der Wiener sagen würde, "a schöne Leich". Wenn die Autoren und das ZDF gewusst hätten, was aus dem attraktiven Schauspieler werden würde, hätten sie sich das mit seinem schnellen Tod vielleicht noch mal überlegt.
13 Jahre später posaunt der freudetrunkene Florian Henckel von Donnersmarck von der Bühne in Los Angeles herab: "Sebastian und Uli, ihr seid die größten Künstler, lasst euch von niemandem etwas anderes einreden." Zum dritten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ein deutscher Beitrag 2007 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewonnen.
"Das Leben der Anderen" wird vor allem mit "Uli", also dem kürzlich an Krebs verstorbenen Ulrich Mühe, verbunden. Sebastian Koch spielte den idealistischen, immer an das Gute im Menschen glaubenden Schriftsteller, der erst nach dem Selbstmord eines Freundes gegen Partei und System in der DDR aufbegehrt.
Mit Martina Gedeck als seiner Lebensgefährtin, die von Minister und Stasi unter Druck gesetzt wird, hat er eindrucksvolle Szenen, die von wichtigen Konflikten des Films erzählen: Wie lässt sich "das Gute im Menschen" in einer Diktatur bewahren? Wie korrumpiert ist der Angepasste, wie mutig der Widerständler wirklich? "Eine dienende Rolle" nannte Koch seinen Part, der eigentlich nicht weniger im Zentrum stand als der von Mühe gespielte Stasi-Offizier.
Es ist eben etwas seltsam mit Sebastian Koch. Er scheint trotz seiner enormen Ausstrahlung in den Rollen geradezu zu verschwinden. Ein Götz George drückt jeder Rolle seinen persönlichen Stempel auf. In der Art zu reden, sich zu bewegen ist jede Figur ein Abziehbild des großen Götz.
Sebastian Koch dagegen nimmt sich zurück, reduziert seine Figuren auf das Nötigste, bleibt unnahbar. Wer etwa Moritz Bleibtreu kürzlich als permanent rüpelnden Proll in dem ermüdenden RAF-Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" gesehen hat, könnte sich angenehm erinnern an die geradezu gegensätzliche Art, in der Koch den Andreas Baader in Heinrich Breloers "Todesspiel" (1997) gab: Gegen das geläufige Baader-Bild vom selbstgefälligen Macho deutete der Schauspieler in nur wenigen Szenen an, dass sich da in dem in Stammheim inhaftierten Terroristen Zweifel, Angst und die Ahnung vom nahenden Tod rührten.
Man kennt also seine Rollen, aber wer ist Sebastian Koch? Er wuchs als uneheliches Kind ohne Vater auf. "Damals war das noch eine Sensation", sagte er mal. Dennoch hat er seine Kindheit niemals als schwierig dargestellt. "Ich wurde sehr geliebt", erzählte er in einem "Spiegel"-Interview. Sich selbst bezeichnete er als "braven Bub, der die Dinge erfüllen wollte, die erwartet wurden". Andererseits habe er, "wahrscheinlich durch meine Mutter", den Mut gefunden, etwas zu wagen.
Eigentlich wollte er Musiker werden. Als Jugendlicher war er Leiter einer Jugendgruppe und hatte "immer meine Gitarre dabei". Mit 18 sang er in Stuttgart auf der Straße Gedichte von Erich Kästner. Claus Peymanns Inszenierungen weckten schließlich in ihm den Berufswunsch Schauspieler.
"Todesspiel", Breloers minutiöser Film über die Entführungen von Hanns Martin Schleyer sowie der Lufthansa-Maschine "Landshut" im Jahr 1977, war für Koch der Karriere-Durchbruch. Und es war der erste in einer beachtlichen Reihe von Filmen, in denen Koch historische Figuren darstellte. Wir sehen in ihm den Albert Speer, den Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den Klaus Mann, auch das Entführungsopfer Richard Oetker. Allen hat Koch in Fernsehfilmen sein Gesicht geliehen, ein deutsches Schaufenstergesicht zur Zeitgeschichte.
Doch es verlangt schon etwas mehr, als nur die irgendwie passende Physiognomie zu haben. Kochs Spiel muss überzeugend die historische Deutung des Films tragen. "Das Übersetzte kann viel stärker sein als das Authentische; an diese Energie glaube ich", sagte Koch in einem Interview.
Er war der Stauffenberg, den Regisseur Jo Baier gegen die Vorbehalte von links und rechts als mutigen, letztlich ungebrochenen Helden zeichnete. Er war der Klaus Mann, in dem Heinrich Breloer in seinem epochalen Dreiteiler "Die Manns - Ein Jahrhundertroman" das Opfer seiner Familie, vor allem seines berühmten Vaters Thomas Mann, sah.
Koch ist dabei zu intelligent, um sich als reinen Erfüllungsgehilfen der Regie zu verstehen. Den Klaus Mann hätte er sich "differenzierter gewünscht", kritisierte er. "Da ist einiges weggefallen und für meinen Geschmack etwas zu viel von seiner Homosexualität hineingekommen."
Trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten blieben sich Koch und Breloer treu, wenigstens noch das eine Mal. Denn Koch war auch der Speer, Hitlers Architekt und Rüstungsminister, den Breloer gegen das vorherrschende Bild vom geläuterten Ex-Nazi als kalten Mittäter entlarvte. Sebastian Koch in seinem Bemühen als "Übersetzer" einer historischen Figur hat das vorerst den Rest gegeben. Speer war "ein Meisterverdränger, ein großer Verbrecher. Bei Speer ist es unmöglich, ein Bewusstsein zu finden. Das hat mich erledigt", sagte er. Zum Glück nur vorübergehend.