Nach Brand an Bahnstrecke Siegburg zwischen Schock und Stärke

Tag eins nach dem verheerenden Feuer: Anwohner berichten vom Kampf gegen die Flammen, eine Welle der Hilfsbereitschaft ist angerollt. Die Ermittlungen dauern derweil noch an.

Böschungsbrand greift auf Häuser über
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Böschungsbrand greift auf Häuser über

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Siegburg. Die ausgerollten Schläuche liegen vor der Häuserzeile schlaff auf dem Boden. Vor einem Haus stehen zwei schwarze Geländewagen, die Motorhauben von Dachziegeln völlig verbeult, die Windschutzscheiben geborsten. An der Haustür hängt das Namensschild mit zwei großen und zwei kleinen Eulen darauf — hier wohnte bis gestern Nachmittag eine Familie. Durch die offene Tür sieht man ein Durcheinander aus verrußtem Dämmstoff, Scherben, Löschwasserpfützen. Vor der Veranda steht ein Futterautomat mit Katzentrockenfutter, ein Transportkorb. Aber die aufgeschreckte Mieze entkommt den Feuerwehrmännern schon den ganzen Tag.

Foto: juki/dpa

Sie ist einer von vielen Gründen, warum der Einsatz rund um den kleinen Straßenzug „Im Urnengraben“ in Siegburg am Tag nach dem verheerenden Großbrand für die Feuerwehr immer noch nicht beendet ist. Ein anderer sind die kohlrabenschwarzen Dachbalken, die aus den zerstörten Dächern in den dunkel bewölkten Himmel ragen. Noch immer ist unklar, wie stark die Gebäudesubstanz eines jeden Hauses beschädigt ist.

Foto: Juliane Kinast

Peter Bergen, Anwohner in Siegburg, der mit Gartenschlauch und Wassereimern gegen die Flammen kämpfte

Foto: Juliane Kinast

Wie arg es im Inneren aussieht, kann sich Andreas Buchmüller bislang nur ausmalen. Er teilt mit der Familie seiner Schwägerin eine Doppelhaushälfte — seine Hälfte liegt zu der Böschung hin, die zu den Gleisen hinabführt. Plötzlich habe es gestunken, dann sei der Qualm heraufgezogen — und dann kamen schon die Flammen. Gewaltig und unaufhaltsam. „Mein kleiner Enkel schlief unterm Dach“, berichtet der 47-Jährige. Er rannte hinein, um das 13 Monate alte Kind zu holen. Seine behinderte Tochter sei im Keller gewesen und starr vor Angst. „Sie war wie ein Sack.“ Zum Glück habe ein Neffe sie herausgetragen. „Da brannte schon das Auto vor dem Haus.“ Alles habe sich innerhalb einer Minute abgespielt.

Foto: Oliver Berg/dpa

Als die Großfamilie, die am Urnengraben mehrere Häuser bewohnt, sich bei der Feuerwehr sammelte, wartete der nächste Schreck auf Buchmüller und seine Angehörigen: Sein Schwager wurde vermisst. Peter Bergen hatte an diesem Dienstagnachmittag gerade in seinen Pool steigen wollen. Er erinnert sich noch genau, eine S-Bahn und ein ICE seien vorbeigefahren — sie, so glaubt er, müssen das Feuer im Unterholz angefacht haben. Denn wenig später erreichte die Flammenwand von unten seinen Vorgarten. Kurzerhand lief der 56-Jährige ins Haus und holte eine Gasmaske — ein Souvenir aus Militärzeiten —, griff zum Gartenschlauch und Eimern und begann, mit dem Wasser aus seinem Schwimmbecken selbst gegen den Brand zu kämpfen.

Foto: Juliane Kinast

Am Tag danach steht Peter Bergen auf dem Nachbargrundstück — in nagelneuen Sportklamotten, die seine Tochter ihm rasch gekauft hat. Eine große Brandblase zieht sich über sein rechtes Ohr, ein Pflaster in der Armbeuge zeugt noch von der Behandlung im Krankenhaus in der Nacht.

Foto: Oliver Berg/dpa

Aber über den Gartenzaun, an dem durch die Hitze verschrumpelte Weintrauben hängen, kann der 56-Jährige die Folgen seines mutigen Einsatzes sehen: Der Rasen ist verkokelt, Pflanzen, Gartenmöbel und sogar der pinke Plastikflamingo seiner Tochter. Aber plötzlich vor dem gestapelten Feuerholz und der Mauer zum nächsten Garten endet der schwarze Rußteppich. „Keine Ahnung, ob ich das Feuer aufgehalten habe“, sagt Bergen achselzuckend. „Ich denke schon.“

Das sei durchaus denkbar, sagt Georg Burmann, der als Einsatzleiter einer der Ersten vor Ort war. Er habe generell eine große Courage bei den Bewohnern in der Siedlung erlebt. Nachbarn, aber auch Flüchtlinge aus einer nahe gelegenen Unterkunft hätten etwa beim Aufbau der Wasserversorgung für den Großeinsatz mit 550 Lösch- und Rettungskräften aus dem gesamten Rhein-Sieg-Kreis geholfen.

Burmann ist sicher, der Brand war in Siegburg „das größte Ereignis seit dem Zweiten Weltkrieg“. Als er am Dienstag eintraf, hätten schon kleine Feuer bis zur nächsten Querstraße — 100 Meter entfernt von der Böschung — gelodert. „Hier war eine Feuerwalze“, betont der Feuerwehrmann. Aber zunächst hätten er und seine Kollegen sich um die 32 zum teil schwer verletzten Menschen kümmern und Verstärkung rufen müssen — und dabei zugesehen, wie die Dachstühle Feuer fingen. Burmann presst die Lippen aufeinander. „Materieller Wert ist ersetzbar. Ein Menschenleben nicht.“

Das sehen auch Peter Bergen und seine Familie so. Seine Tochter hat ihn und Frau Lydia in ihrer Wohnung aufgenommen, man hält zusammen, lacht immer wieder sogar zusammen. Wenn es um den Schaden und die Frage des Geldes geht, zuckt er nur die Schultern. Eine Gebäudeversicherung habe er — eine Hausratversicherung indes nicht. Von der Welle der Hilfsbereitschaft, die angerollt ist, weiß der 56-Jährige hier am Rande seines ausgebrannten Hauses nichts. Laut dem Siegburger Bürgermeister Franz Huhn riefen mehr als 250 Menschen an, die mit Sachspenden helfen wollten — die Stadt richtete zudem ein Spendenkonto bei der Kreissparkasse Köln ein. Deren Vorstandsvorsitzender meldete sich selbst am Mittwochmorgen bei Landrat Sebastian Schuster — wie Huhn verbringt dieser den Mittwoch großteils vor Ort am Urnengraben — und bot zinsgünstige Darlehen für die Betroffenen an. Die größte Finanzhilfe kommt von der Bahn, die angekündigt hat, sich mit einer halben Million Euro an einem Hilfsfonds zu beteiligen.

Ob indes deren Züge und Funkenflug das Feuer ausgelöst hatten, wie zunächst gemutmaßt wurde, ist noch unklar. Eine Ermittlungsgruppe des Kölner Präsidiums ist zusammen mit Kräften vom LKA vor Ort, nimmt Bodenproben, analysiert Windverhältnisse. Man sucht nach Hinweisen auf Brandstiftung, aber auch eine Glasscherbe und Sonnenlicht könnten die Flammen entzündet haben, erklärt Hauptkommissar Burkhard Rick. „Wir brauchen Zeugen“, sagt er — Anwohner etwa oder Passanten, die auf der Fußgängerbrücke über die Gleise unterwegs waren. Rick: „Es gibt erste Zeugenaussagen, die sind aber widersprüchlich.“

Georg Burmann, stellvertretender Leiter der Freiwilligen Feuerwehr in Siegburg, über den Einsatz, bei dem erst Verletzte versorgt werden mussten, während die Dachstühle Feuer fingen

Hinter ihm fährt ein Drehleiterkorb der Feuerwehr in die Höhe. Darin steht neben Landrat Schuster NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). „Noch schlimmer“ als von unten sehe es von oben aus, sagt er nach der Fahrt betroffen. „Als hätte eine Granate eingeschlagen.“ Eigentlich weilt er gerade im Mallorcaurlaub, am Morgen war er extra zurückgeflogen, um den Menschen in Siegburg seine Unterstützung zuzusagen — selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt am Mittwoch aus Berlin Genesungswünsche an die Verletzten ausrichten und dankt der Feuerwehr für ihre Arbeit. „Ich bin froh, dass ich gekommen bin“, sagt Reul. Am Nachmittag geht sein Flieger zurück. Auch Andreas Buchmüller wollte am Donnerstag mit seiner Familie auf die Baleareninsel in den Urlaub fliegen. Damit wird es nun nichts — noch die kleinste Konsequenz des Siegburger Feuers.