Social Web für über 50-Jährige: Vernetzt bis ins Alter

Was erwarten die über 50-Jährigen von den sozialen Medien im Internet? Brauchen sie ein eigenes Facebook? Und wer ist heute überhaupt ein Senior? Eine Suche nach Antworten.

Düsseldorf. „Wir sind mittendrin, wir sind in einem knackigen Alter“, versucht Johanna Kohls, die Ambivalenz ihrer Altersgruppe in Worte zu fassen. Die diplomierte Sportlehrerin ist 52 Jahre alt und bei Seniorbook unterwegs.

Seniorbook? Das Facebook für Menschen ab 46 will seit September 2012 in Deutschland „Menschen mit Erfahrung verbinden“. Die Silver Surfer entdecken das Internet — und erobern dort auch die sozialen Medien. Mit Gelenken, die schon mal knacken, aber sonst durchaus (noch) fit.

Der Markt hat verstanden, und er reagiert. Seniorbook, Feierabend, Platinnetz, Best Ager und andere mehr bemühen sich um eine mächtige Klientel: Mehr als ein Drittel der deutschen Gesamtbevölkerung ist laut Statistischem Bundesamt heute älter als 50 Jahre, bis 2035 steigt ihr Anteil auf 50 Prozent.

Diese Gruppe stellt überdies immer mehr besonders kaufkräftige Konsumenten. Und die Generation 50plus drängt in die sozialen Netze: 68 Prozent aller Internetnutzer zwischen 50 und 64 Jahren ist bei mindestens einem sozialen Netzwerk angemeldet, bei den über 65-Jährigen sind es bereits 66 Prozent, hat Bitkom Research ermittelt.

Aber wollen die „Senioren“ wirklich ihr eigenes Facebook? „Die Zielgruppe ist schwer einzufangen“, meint das Marketingmedium absatzwirtschaft.de: „Es ist fraglich, ob sich gerade die Gruppe der über 45-Jährigen, die sich vernetzen will, in die Seniorenecke drängen lässt.“

Nutzer „Juneau“ kommentierte im April bei Seniorbook entsprechend: „Ich bin 50, und ich muss arbeiten, bis ich 67 bin. Die angestrebte Zielgruppe bei Seniorbook ist die ab 45? Den Namen hätte man vorher noch mal gründlich überdenken sollen. Arbeiten bis 67 und ab 45/50 Senior sein? . . . Sorry, aber bevor ich mich zu einem ,Seniorbook’ anmelde, müsste ich erst mal Senior sein. Das fängt bei mir frühestens mit der Rente an.“

Die Niederländerin Johanna Kohls hat sich mit dem Begriff mittlerweile angefreundet. Und sie findet, dass die Bedeutung von Senior subjektiv sei, es komme immer darauf an, „aus welcher Position aus man es betrachtet“.

„Heute gibt es Mitte-Fünfzigjährige, die noch schulpflichtige Kinder haben, und andere, die schon Urgoßeltern sind“, sagt die Wissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Chancen, Jutta Croll, und hält es für sinnvoller, Menschen über Themen statt über eine Altersklassifizierung anzusprechen. Das Interesse an Vernetzung und Austausch sei altersunabhängig:

„Nach unseren Erfahrungen sind es nicht die Senioren-spezifischen Angebote im Internet, die ältere Menschen davon überzeugen, die ersten Schritte im Netz zu tun.“ Vielmehr gehe es darum, dass die Menschen einen persönlichen Nutzen für sich erkennen, wenn sie sich an einem Netzwerk beteiligen. Der könne natürlich auch darin liegen, sich mit Gleichaltrigen zu vernetzen. Was ist am Senioren-Facebook so anders als an Facebook? Crolls Antwort: „Nichts.“

Johanna Kohls ist bei Seniorbook, weil sie erst vor ein paar Jahren nach Düsseldorf gekommen ist. „Ich möchte Leute in meinem Alter und in der Nähe kennenlernen.“ Außerdem vermutet sie dort die Zielgruppe für ihre (berufliche) Praxis, die „Personal Training für die reife Generation“ anbietet. Daneben postet sie bei Facebook Bilder und Artikel und hält dort Kontakt zu entfernt lebenden Freunden. An Facebook schätzt sie die Vielseitigkeit, Seniorbook hält sie für spezieller.

Kohls wählt gezielt aus. Manche Themen gefallen ihr, andere nicht. Chatten will sie gar nicht. Bei Seniorbook sieht sie überdies ihre Daten besser aufgehoben als bei Facebook, wo man zwar mit einiger Geschicklichkeit selbst einstellen könne, was man von sich preisgebe, aber ständig wechselnden Regeln ausgesetzt sei. Ihr Fazit: „Ab 50 ist man selbstbewusster, nimmt nicht alles an.“

Ilselott Müller chattet auch nicht, weshalb die 81-jähige Großmutter von vier Enkeln Facebook den Rücken gekehrt und sich bei Feierabend, dem 1998 online gegangenen „Webtreff für die besten Jahre“, registriert hat. „Das ist persönlicher.“ Sie nimmt in Kauf, durch ihre Internetaktivitäten — mit eigener Website — in gewisser Weise „gläsern“ zu werden, schätzt aber durchaus den guten Datenschutz bei Feierabend.

Angefangen hat Ilselott Müller im Jahr 2000. Nachdem ihr Mann gestorben war, erkannte die rüstige Düsseldorferin, dass sie „raus zu den Leuten muss“. In der Zeitung wurde sie auf Feierabend aufmerksam und klickte sich rein. Heute ist sie für die Website der Regionalgruppe Düsseldorf zuständig. Wichtig für sie: „Ich habe schon viele Freunde gefunden.“ Mit denen trifft sie sich regelmäßig zu Ausflügen, Theaterbesuchen und ähnlichem. Eine altersspezifische Begrenzung der Themen lehnt Müller ebenso ab wie den Ausschluss jüngerer Menschen.

Haben ältere Menschen eigentlich ein eigenes Medienverhalten? Klares „Ja“ von der Expertin. Während die Digital Natives, die mit digitalen Medien groß geworden sind, laut Jutta Croll schon früh mit dem Internet „spielen“, wurden ältere Menschen durch rezeptive Medien wie Print, Hörfunk und Fernsehen geprägt. Passiv begegnen sie daher zunächst auch dem Internet. „Sie brauchen Zeit, bis sich ihnen die interaktiven Möglichkeiten erschließen.“

Ältere Menschen sind es gewohnt, eine Bedienungsanleitung zu lesen. „Das intuitive Bedienen von digitalen Endgeräten wird zunächst oft skeptisch gesehen“, weiß Croll. Auch Sicherheitsbedenken sind bei älteren Menschen nicht erst seit dem NSA-Spionage-Skandal ausgeprägter als bei Jüngeren, die ihr Privatleben eher nach außen tragen. All dem wollen die sozialen Medien für Senioren Rechnung tragen.

50plus ist eben eine zwiespältige Altersgruppe.