Strammstehen als Urlaubsvergnügen in Kanada
Ein einzigartiges Regiment bevölkert im Sommer Fort Henry — die Laien gehören zu den weltbesten Exerziermannschaften.
Kingston. Über Kanadas größter Festung weht eine fremde Fahne. Stolz wellt sich der britische Union Jack über Ontario, und auch die exerzierenden Soldaten tragen englische Uniformen — allerdings die von 1867. Kanada unterhält ein einzigartiges Regiment, das nichts mit der kanadischen Armee zu tun hat. In Fort Henry, drei Autostunden östlich von Toronto, exerzieren junge Männer und inzwischen auch Frauen, die keine Soldaten sind — und dennoch zu den besten „Drillteams“ der Welt gehören.
„Wir sind so eine Art Cirque du Soleil, nur mit Waffen“, sagt Mark Bennett. „Und mit Schreien.“ Bennett ist „Leftenant Colonel“ und damit Chef der seltsamen Truppe. Denn auch wenn alle Uniformen tragen, auch wenn sie Dienstgrade haben und sogar befördert werden können, auch wenn sie jeden Tag exerzieren und sich anschreien — mit der Armee hat das alles nichts zu tun. Die Soldaten sind fast durchgängig Studenten, bezahlt werden sie nicht vom Verteidigungs-, sondern vom Tourismusministerium.
„Diese Stelle am Sankt-Lorenz-Strom war militärisch ein neuralgischer Punkt. Um Angriffe aus den USA vorzubeugen, bauten die Briten hier ein Fort“, erzählt Bennett. Die Festung wurde gerade rechtzeitig fertig zum Krieg von 1812 — doch Kampfhandlungen sah sie nie, bis heute nicht.
Vor 75 Jahren warb der Historiker Ronald Way dafür, die Festung in ein lebendes Stück Geschichte zu verwandeln. Weil man dafür auch Soldaten brauchte, erfand er mit seinen Studenten ein Regiment: die Fort Henry Guard. Bis heute sind es vor allem Studenten, die zwischen Mai und September paradieren oder stundenlang strammstehen. Und sich dabei anschreien lassen.
Auch Jackie Tessier. Die junge Frau geht im Stechschritt an manchen Tagen 20 Kilometer über den Festungshof. „Es ist das beste Training, das man sich denken kann. Nach einem Sommer hier bin ich in unserer Mannschaft die fitteste.“ Tessier spielt Fußball — in der kanadischen Studenten-Nationalmannschaft.
Drillteams zeigen Exerzieren in seiner höchsten Kunstform. Als vielleicht das beste Soldatenballett gilt das Drillteam der US Marines. Die waren zuletzt 2009 in Fort Henry und betrachten die Kanadier (fast) als ebenbürtig — dabei sind die gar keine Soldaten.