Tassilo, der Geschichtenerzähler
Max Blusch führt ein Doppelleben: Von Montag bis Freitag ist er Vertriebsdirektor einer Sparkasse, am Wochenende taucht er ab ins Mittelalter. So wie Zehntausende andere auch.
Wenn Maximilian Blusch eine Geschichte erzählt, sind seine Hände fortwährend in Bewegung. Dabei strahlt er übers ganze Gesicht, bis die Augen hinter dünnen Schlitzen nur noch zu erahnen sind. Gebannt hängen Kinder wie Erwachsene dann an seinen Lippen, und niemand kommt in so einem Moment auf die Idee, dass der Kölner mit der tiefen, melodischen Stimme ein Banker sein könnte. Genau diese einprägsame Stimme ist jedoch schuld daran, dass der 45-Jährige ein Doppelleben führt.
An manchen Wochenenden verschwendet der Vertriebsdirektor der Sparkasse KölnBonn keinen Gedanken an trockene Zahlen. Dann streift er Anzug und Krawatte ab und schlüpft in ein sonderbar anmutendes Gewand. Maximilian Blusch ist nun Tassilo von Thielenbruch, der Geschichtenerzähler.
Alles begann vor rund 13Jahren, als sein mittelalterverrückter Freund Michael Cornély die verhängnisvollen Sätze sprach: "Mach doch mal mit, Maximilian. Du hast eine gute Stimme, das kannst du bestimmt." Cornély moderierte damals bereits als Herold Ritterturniere auf Burg Satzvey in der Eifel - mit großem Erfolg.
"Michael war der erste, der um die Turniere Geschichten gesponnen hat. Er hat die bis dahin statisch anmutenden Aufführungen zu professionellen Shows weiterentwickelt. Das fand ich unheimlich reizvoll", gerät Blusch noch heute ins Schwärmen. Und tief in seinem Inneren schlummerte bereits der Schauspieler. "Meine Mutter war Opernsängerin. Die Lust, auf der Bühne zu stehen, war schon da."
Doch der damals 32-Jährige konnte weder reiten noch kämpfen - keine guten Voraussetzungen für einen Ritter, der immer den Zwang verspürt, Königstöchter aus Türmen zu befreien und mit Lanzen auf Gegner einzustechen, um sie vom Pferd zu holen. "Aber ich konnte Mittelhochdeutsch reden." Das reichte Cornély, um Maximilian in seine Heerschar der "Ritter von Satzvey" aufzunehmen.
Der Banker liebt das Spiel mit der Sprache, besonders wenn er auf den von Cornély in ganz Deutschland veranstalteten Mittelaltermärkten Krippenspiele oder einen Bauernschwank aufführt. "Meine Rollen wachsen über die Jahre, ich kann sie verfeinern und das Publikum auf immer neue Weise erreichen", sagt Blusch. Diese Gabe kommt ihm in seinem Beruf zugute. "Mit dem Obsthändler auf dem Großmarkt rede ich anders als mit dem Nanotechniker, der ein Unternehmen führt."
Ganz langsam wuchs der zweifache Familienvater in die neue Rolle. Anfangs trat er nur ab und an auf. "Dann gründete Michael die Gesellschaft für Burgenmarketing, so dass immer mehr Veranstaltungen dazukamen." Einmal sei er Märchenerzähler, dann Dominikanerpater - "und natürlich auch Turnierherold".
Auch wenn er nicht wie viele andere Mittelalteraktive während der Märkte und Ritterspiele in Zelten schlafe oder barfuß durch den Matsch wate ("Die Hardcore-Variante brauche ich nicht"), ist es für ihn nicht immer leicht, Familie und Hobby zu vereinbaren. Seinen Sohn Simon (12) konnte er fürs Mittelalter begeistern. "Wenn Simon auf einem Markt selbst einen Bogen spannen und einen Pfeil abschießen kann, ist das für ihn viel attraktiver, als das am Computer nur nachzuspielen." Doch Tochter Joanna (10) und seine Ehefrau Silvia sehen das Ganze kritischer. "Für das Mittelalter geht natürlich auch Familienzeit drauf. Das ist ein Konflikt, der sich nicht auflösen lässt", gibt Blusch zu.
Für den Betrachter wollen Bluschs Lebenswelten nicht zusammenpassen: Auf der einen Seite der nüchterne Banker, der Firmen in finanziellen Fragen betreut und damit auch über Menschenschicksale entscheidet. Auf der anderen Seite der witzige Tassilo, der von Rittern, Bauern und Fabelwesen erzählt und seine Zuhörer in eine Traumwelt versetzt. "Eigentlich sind die Rollen gar nicht so verschieden. Hier wie dort erzähle ich Geschichten", sagt Blusch und lacht. Nur dass er seinen Kunden nicht in Pluderhosen, geschnürtem Hemd und federbestücktem Hütchen gegenübertritt.
"Nennen sie das bloß nicht Kostüm!", belehrt Blusch sogleich jeden, der eine starke Ähnlichkeit zu einem Robin-Hood-Wams zu erkennen glaubt. Nein, das sei eine Gewandung. Mittelalterfans hätten rein gar nichts mit Karnevalisten gemein - auch wenn das vielleicht bei einem echten Kölner nahe liege. "Wenn ich ins Mittelalter eintauche, muss ich nicht warten, bis Karneval ist", erklärt Blusch.
Verträumt schaut der Kölner, wenn er von seinen Einsätzen bei Cornélys Krippenspielen auf Schloss Broich in Mülheim an der Ruhr erzählt. Die liebt Maximilian besonders, denn dort, so sagt er, erlebten die Besucher den romantischen Teil des Weihnachtsfestes. "Die Handys bleiben aus, und die Menschen lassen sich auf die Geschichte von Engeln und der Geburt Jesu ein. Es entsteht eine unglaubliche Intimität zum Publikum." Dabei heißt Bluschs Zauberwort Begeisterungsfähigkeit. "Da gibt es viele Parallelen zwischen Beruf und Hobby. Ich muss meine Kunden von meinen Ideen begeistern. Und auch als Erzähler habe ich nur Erfolg, wenn ich die Menschen mitnehme."
Nein, ein Zahlenmensch sei er nicht. Im Beruf wie im Hobby wolle er seine Kreativität ausleben. "Die Geschichten von Hexen und Elfen und die Projektstory befruchten sich gegenseitig." Und wieder lacht Maximilian Blusch, bis sich seine Augen zu dünnen Schlitzen verengen.