Tobias Rehberger: Falsche Fährten und ein Kinderbuch

Frankfurt/Main (dpa) - In Venedig hat er ein Café gestaltet, in dem einem die Augen übergehen. In Hannover ließ er einen Garten täglich mit Schneekugeln beschießen. In Münster stellte er eine Kiste aus und behauptete, drinnen sei ein Maserati.

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Jetzt bekommt Lokalmatador Tobias Rehberger in seiner Wahlheimat Frankfurt eine große Retrospektive - mit nur 47 Jahren. Die Kunsthalle Schirn zeigt 60 Arbeiten aus 20 Jahren. „Home and Away and Outside“ ist vom 21. Februar bis zum 11. Mai zu sehen. „Längst überfällig“ sei diese Schau, sagt Schirn-Direktor Max Hollein.

Eigentlich finde er es ja „ganz okay, dass man sich seine Sporen erstmal außerhalb verdienen muss“, sagt Rehberger zwischen Kisten und Paketen beim Aufbau der Ausstellung. Nach Frankfurt kam der Esslinger Ende der 80er wegen eines Mädchens, das er im Skiurlaub kennengelernt hatte. Geblieben ist er, weil er sich wohlgefühlt hat in dieser „no bullshit city“, wie er sagt. „Hier ist alles etwas tougher, direkter. Hier zählt das Machen, nicht das Geschwafel.“ Er studierte bei Thomas Bayrle und Martin Kippenberger an der Städelschule, seit 2001 lehrt er dort selbst als Professor, inzwischen ist er Prorektor.

„Rehbergers Kunst nährt sich aus dem grundlegenden Zweifel, ob die Dinge wirklich so sind, wie sie sind“, schrieb die „Frankfurter Neue Presse“. Eine gute Beschreibung, sagt Rehberger und erzählt von einem Kinderbuch, in dem jeweils die nächste Seite das Bild der vorherigen Seite konterkarierte: Der nette Mann hatte ein Messer in der Hand, der finster dreinblickende Geselle einen Blumenstrauß hinter dem Rücken versteckt. „Das hat mich enorm beeindruckt.“

Typisch für die von ihm praktizierte Mischung aus Kunst und Design ist die spiralförmige Brückenskulptur, die er in Oberhausen über einen Kanal schlug. Typisch für seinen Humor sind die Titel seiner Kunstwerke: Einen dürren, pinkfarbenen Baum nennt er „Asoziale Tochter“, er lässt eine milchige Lampe über einer Parkbank schweben und nennt das „Caprimond“. Eine Ausstellung bei Wien nannte er „Junge Mütter und andere heikle Fragen“, die in Madrid „I die every day“.

Seine anstrengendste Arbeit war ein Film, sagt der 47-Jährige. „On Otto“ hat er rückwärts produziert: erst malte er das Filmplakat, dann gab er den Vor- und Abspann in Auftrag. Als nächstes durfte sich der Filmkomponist austoben, dann musste der Kameramann Bilder zu diesem Soundtrack erfinden - „und am Ende schrieb dann einer ein Drehbuch“.

An künstlerische Autorenschaft glaubt er nur bedingt. „Irgendwer muss es sich halt ausdenken und irgendwer muss es dann realisieren.“ Aber das müsse nicht zwingend die gleiche Person sein. Doch, er könne schon gut Verantwortung abgeben, sagt er, „vielleicht suche ich sogar den Kontrollverlust“. Sein Atelier gleicht eher einer gut geschmierten Kunst-Fabrik als einem Elfenbeinturm.

In Berlin musste er Anfang des Jahres einen Plagiatsstreit durchstehen: Die britische Künstlerin Bridget Riley beanspruchte die Urheberschaft für Rehbergers Installation im Lesesaal der Staatsbibliothek.

Eine typisch Rehberger'sche Idee war es, Klassiker des Möbeldesigns aus dem Kopf nachzuzeichnen, die Skizzen nach Afrika zu schicken und dort in lokalen Werkstätten nachbauen zu lassen. Ebenso wie viele seiner Arbeiten locken auch diese „handicaped sculptures“ den Betrachter zunächst auf einen ausgetretenen Wahrnehmungs-Pfad und fallen ihm dann in den Rücken.

Das kommt weltweit gut an. Bei der Kunst-Biennale in Venedig 2009 bekam er den „Goldenen Löwen“ als bester Künstler für seine Op-Art-gemusterte Cafeteria, die er „Was Du liebst, bringt Dich auch zum Weinen“ nannte. In einer Frankfurter Diskothek wurde das von ihm gestaltete Interieur weniger pfleglich behandelt: Als die Clubbetreiber aufgaben, tauchte einiges in einem anderen Club wieder auf, anderes verschwanden auf Nimmerwiedersehen.